Ich kenne dein Geheimnis
Altamura-Kacheln gefliest. Der Baron setzte sich auf das Himmelbett und streckte seinem Diener die Beine
entgegen, der sich auf den Boden gekniet hatte, um ihm die Stiefel abzustreifen.
»Ich habe Durst.« Franzin goss seinem Herrn aus einem Tonkrug einen Becher Wein ein und wartete auf weitere Befehle.
»Weck Meluzza auf und bring sie her.«
Franzin runzelte ungläubig die Stirn. Woher nahm der Baron nur seine Energie?
Offenbar hat er den Teufel im Leib.
Aus dem Dienstbotenzimmer hörte man tiefe Atemzüge. Franzin versuchte es zunächst ganz sanft, doch die junge Frau wollte einfach
nicht aufwachen. Jedes Mal, wenn er sie am Arm packte und hochziehen wollte, rollte sie sich wieder zusammen und murmelte
einige unverständliche Worte. Das erste Mal, als er sie zum Baron gebracht hatte, hatte Meluzza sich mit Händen und Füßen
gewehrt und wie am Spieß geschrien, so lange, bis sie keine Stimme mehr hatte. Im Vergleich zu damals war es mittlerweile
ein Kinderspiel. Die junge Frau leistete kaum noch Widerstand, nur manchmal vergoss sie ein paar Tränen. Franzin versuchte
es erneut, dieses Mal resoluter. Er zerrte sie hoch und nahm sie auf den Arm. |127| Vor dem Schlafzimmer des Barons setzte Franzin die noch immer benommene Frau ab und schubste sie hinein.
D’Altino lag nackt in seinem Bett. Er bemühte sich gar nicht, Meluzza richtig aufzuwecken. Ihre teilnahmslose Gefügigkeit
erregte ihn so sehr, dass er gar nicht von ihr ablassen konnte. Die junge Dienerin ertrug seine Brutalität mit der unerschütterlichen
Geduld der Bauern, die sich den Launen der Natur unterwarfen: Einmal strafte sie der Himmel mit sintflutartigem Regen, ein
anderes Mal mit nicht enden wollender Trockenheit.
Der Baron zog die Vorhänge zur Seite und blickte aus dem Fenster. Das helle Morgenlicht blendete ihn, und er musste die Augen
zusammenkneifen, doch er war froh über das gute Wetter. Er schlüpfte in ein Hausgewand und ging in den weitläufigen Salon,
in dem er zu frühstücken pflegte. Wie jedes Mal hatte er Gewissensbisse, als er am Schlafzimmer seiner Frau Eufrasia vorbeiging.
Er machte sich keine Vorwürfe, sondern spürte Bedauern und Mitleid. Als Eufrasia noch jung und attraktiv war, hatten sie viele
leidenschaftliche Liebesnächte miteinander verbracht. Jetzt waren ihre sexuellen Begegnungen hastig und mechanisch, etwa so,
als müsse man seine volle Blase leeren. Eufrasia dei Marchesi Gallo war schon vierzig und hatte zwei Schwangerschaften und
drei Totgeburten hinter sich. Während der Schwangerschaften hatte sie einige Zähne verloren, und selbst die Schminke konnte
die tiefen Falten nicht verdecken, die das Schicksal in ihr Gesicht gegraben hatten: Sie hatte beide Kinder durch tragische
Unglücksfälle verloren. Das eine war ertrunken, das andere durch einen Schlangenbiss getötet worden. Für weitere Nachkommen
war sie zu alt. Zu diesem Schmerz gesellte sich ein weiterer. Sie wusste, dass sie die Erwartungen ihres Mannes nicht erfüllt |128| hatte. Das Geschlecht der d’Altino würde zugrunde gehen, weil es keinen Erben gab.
Der Baron ging zu einem Schrank hinüber, zu dem allein er den Schlüssel besaß. Er öffnete die Tür und zog ein Bündel handbeschriebener
Blätter aus einem Schubfach, die mit einem roten Band zusammengehalten wurden. Dann setzte er sich an den wuchtigen Schreibtisch,
der inmitten des Zimmers thronte. Ein kostbares, mit Intarsien geschmücktes Stück, das Meisterwerk eines Künstlers, der in
Diensten der Herrscher von Caserta stand. Nachdem er ein neues Blatt aus dem Schubfach genommen hatte, tauchte er die Gänsefeder
ins goldene Tintenfass und begann zu schreiben:
Sizilien, im Jahr des Herren 1770
Heute Nacht habe ich die Dienerin Carmela geschwängert, bekannt unter dem Namen Meluzza. Das Kind, das sie zur Welt bringen
wird, wird ein d’Altino sein, von meinem Blut und der Erbe meines Vermögens. Es wird meinen Namen tragen und meine Ehefrau
Marchesa Eufrasia Gallo wird seine offizielle Mutter sein. Sollte das Kind ein Junge sein, wird er mein legitimer Stammhalter
werden. Er wird auf immer den Fluch der Zigeunerin auslöschen, dem meine Kinder, die mir in meiner vor der Heiligen Mutter
Kirche geschlossenen Ehe geschenkt wurden, zum Opfer gefallen sind.
Der Baron legte das Blatt zu den anderen, verschloss das Bündel mit dem roten Band und legte es vorsichtig in die Schublade
zurück. Dann läutete er, um sich das Frühstück
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