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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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wie »auf Verdacht«, was eine von Barbaras Redensarten war. Die braunen Hausschuhe machten mir Angst. »Auf Verdacht« bedeutete einen Notfall. Vielleicht waren sie mit Blaulicht vorgefahren.
    Niemand hob den Kopf, als ich hereinkam. Es waren zwei Polizeibeamte. Der Mann stand an der Küchentür, die Hände vor dem Unterleib, als würde er in einer Parade stehen. Er stand einfach da und tat so, als würde er aus dem Fenster schauen, aber tatsächlich sah er nur die Falten in der Gardine. Das wusste ich, weil niemand etwas erkennen konnte durch die Gardinen: Sie hatten ein Muster aus Blumen und Blättern und Schmetterlingen und waren ungefähr einen Zentimeter dick. Barbara war paranoid, dass jemand in ihre Privatsphäre eindringen konnte.
    Der andere Beamte war eine Frau, und sie saß in dem Sessel, in dem nie jemand saß, weil man von dort aus nur schlecht auf den Fernseher schauen konnte. Er war viel sauberer als die Couch. Die Lehnen hatten fast keine Flecken. Sie beugte sich vor und versuchte, Barbara zu berühren, wahrscheinlich ihr Knie zu tätscheln oder ihre Hand. Das ging nicht, weil die Sessel zu weit auseinander standen – absichtlich, denn der Einzelsessel verdeckte einen Fleck im Teppichboden. Ihre Hand zappelte wie ein Fisch in der Luft, wedelte besorgt, und ich dachte an Seeteufel und an Donald, und meine Brust begann zu schmerzen.
    Ich hatte geplant, etwas wie »Hier bin ich!« zu sagen, aber stattdessen ging ich hinein und trat auf den Teppich, ohne vorher die Schuhe auszuziehen. Ich wusste bereits, dass es keine Rolle spielte. Dass dies der Beginn einer Zeit war, in der Dinge wie Schuhe nicht mehr wichtig waren. In der die Vorstellung, dass sie jemals eine Bedeutung hatten, irgendwann lustig wurde. Ich schloss leise die Tür hinter mir und setzte mich neben Barbara. Donald war nicht da. Klapperte nicht in der Küche herum und schlurfte auch nicht über den Flur. Baute nichts Peinliches im Garten. Schnitt keine Bilder aus der Fernsehzeitung und versuchte nicht, den Videorekorder zu programmieren. Das Radio in seinem Zimmer war stumm.
    Auf meiner Schulter muss ein Ligusterblatt gewesen sein. Ein wächsernes, nach Pipi stinkendes ovales Blatt, das von meiner Jacke auf den Teppichboden fiel. Ich blickte gelegentlich darauf, während die Polizistin mir erklärte, was sie bereits Barbara erklärt hatte. Barbara, deren Gesicht aussah wie ein Zelt mit abgeschnittenen Seilen, saß sehr still da. Sie zog an einem Faden an ihrem Rocksaum. Er riss ab, und sie begann, ihn um ihren Zeigefinger zu wickeln, bis die Nagelspitze sich dunkel verfärbte.
    Danach wachte ich eines Morgens früh auf. Es war fast noch dunkel, und draußen war es still. Das Haus fühlte sich schwer an. Meine Haare waren feucht von Schweiß und klebten im Nacken, und ich wusste, ich hätte weinen sollen. Ich richtete mich auf und sah aus dem Fenster. Es war immer noch frostig draußen. Die Bäume im Garten hatten noch keine Knospen, aber dafür kleine Beulen an den Zweigen, die sich bald in Knospen verwandeln würden. Ich fragte mich, ob es den Bäumen Schmerzen bereitete, wenn die Knospen die Rinde aufrissen, so wie Frauen Schmerzen haben bei einer Geburt, auch wenn es natürlich ist.
    Ich hätte aufhören sollen zu essen und mich zu kämmen, und ich hätte nicht das Bedürfnis haben sollen, in den Schuppen zu gehen und eine zu rauchen und vielleicht in die Stadt zu spazieren, um zu sehen, ob sie bei HMV schon die neue Kassette hatten, die ich mir holen wollte. Ich hätte nicht froh sein sollen, dass ich nicht zur Schule musste. Vielleicht hatten sie es in der Schule bekannt gegeben. Ich wischte mit dem Ärmel meines Schlafanzugs das Kondenswasser von der Scheibe und fröstelte. Ich stellte mir das Schweigen in der Klasse vor, und Shanks’ ernste Stimme. Nun wird jeder wissen, dass Donald eine Meise hatte. Chloe hat sich nicht gemeldet.
    Ich blickte auf den Garten und fragte mich, ob es wehtat, zu ertrinken. Am Tag zuvor im Bad hatte ich das Waschbecken volllaufen lassen. Ich hatte den Kopf unter Wasser gesteckt und die Augen geöffnet und den schwarzen Stöpsel betrachtet und die Kette mit den Luftbläschen. Ich hatte versucht, das Wasser einzuatmen. Nicht, um zu sterben, sondern weil ich wissen wollte, ob es wehtat, wenn man Wasser durch die Nase einatmete in die Lunge. Meine Lunge wehrte sich dagegen. Ich hustete, und meine Augen brannten und tränten.
    Jetzt, dachte ich. Jetzt, während das Haus still ist, werde ich aus dem Bett

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