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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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das und seine Angst, der Triebtäter könnte wieder zuschlagen.
    Wie auch immer er es angestellt hatte, jedenfalls war er dort draußen. Sagen wir, es war nach fünf Uhr morgens, schon kurz vor sechs. Kalt, und immer noch dunkel. Er parkte an der äußersten Nordseite der Bucht – direkt vor einem Golfplatz, der um diese Uhrzeit bestimmt genauso ausgestorben war wie die Promenade. Er hatte sich eine gute Stelle ausgesucht. An diesem Strandabschnitt stehen Altersheime, Büros und eine alte Kirche mit Plastikplanen vor den Bleiglasfenstern. Der Wagen war achtlos abgestellt worden. Er war seit Jahren nic ht gefahren, und ich denke, er war aufgeregt.
    Er war glücklich auf dem Wasser, obwohl er die Gezeiten berücksichtigt und dabei nicht an den Wintermorgen und die Dunkelheit gedacht hatte und daher wohl warten musste. Es war sinnlos, um diese Uhrzeit die phototropische Zone zu messen, und er würde sich damit abgefunden und mit geschlossenen Augen in sich hineingelächelt haben. An der Marine Road stehen überall Schilder, vom Midland Hotel bis nach Bolton-le-Sands und weiter die Küste hoch, so weit wie ich gekommen bin. Eine Litanei von Warnungen: Fahrwasser, trügerische Gezeiten, Schlickfelder, versteckte Felsen. Er hätte sie gesehen.
    Und dann? Barbara glaubt, er hat das Gleichgewicht verloren oder ist in dem Boot eingeschlafen, das mit ihm kenterte. Sie glaubt, er ist vielleicht auf eine Sandbank aufgelaufen und musste aussteigen und durch das Watt waten auf der Suche nach »seinen komischen Kreaturen«. Das ist möglich. Ich hörte das Gerücht – wieder etwas, was sie versuchten, mir vorzuenthalten – , dass er barfuß war, als sie ihn in die Klinik einlieferten. Vielleicht hatte Barbara recht und Donald war tatsächlich durchs Watt gewatet.
    Während Barbara redete und Kaffee einschenkte und unsere Gäste in der Küche belog, saß ich im Schuppen, rauchte und beobachtete sie durch das schmutzige, buchdeckelgroße Fenster. Es war nicht richtig, was sie sagte. Ich war mir dessen sicher, obwohl ich es nie erfahren würde. Ich konnte es sehen.
    Nehmen wir an, dass er barfuß war, weil er seine Schuhe und Socken ausgezogen hatte, um das Boot durch den Schlick vor der Küste von Morecambe in das Flachwasser zu ziehen. Ja, es war kalt, aber er hätte lieber taube Füße in Kauf genommen, als seine sauberen Socken und Schuhe mit dem grauen Schlamm zu versauen, der an seinen Fußsohlen klebte. Barbara wartete nur auf so etwas.
    Dann hätte er wohl den Außenborder angeworfen oder sich auch einfach im Wasser treiben lassen, während er darauf wartete, dass es hell wurde. Es ging langsam – mehr Wolken, als er erwartet hatte. Vielleicht hatte er den Motor abgestellt, weil er Ruhe haben wollte oder weil das Kielwasser gestört hätte, wonach auch immer er Ausschau hielt. Er hatte die schwarz-weißen Scheiben bei sich, aber er wusste, noch bevor er aus dem Wagen stieg, dass das Meer zu aufgewühlt war dafür. Ich glaube nicht, dass es ihm viel ausmachte. Ich glaube nicht, dass er länger an dem Leuchten interessiert war. Nicht an dieser Art Licht. Aber trotzdem fuhr er raus – um nach etwas anderem Ausschau zu halten in der Erwartung, einfach Glück zu haben.
    Nehmen wir an, er ließ das Boot treiben und machte es sich darin bequem, indem er sich auf den feuchten Boden legte, als wäre es eine Matratze. Die Hände hinter dem Kopf und das Gesicht zum Himmel, dem Geräusch des Wassers lauschend, das gegen die Seiten schwappte. Vielleicht nickte er ein – von dem Schaukeln, und weil er so früh aufgestanden war. Vielleicht auch nicht. Da war die Thermoskanne, die er nicht im Wagen zurückgelassen hatte, und der kalte braune Kaffeering auf der Küchenanrichte zu Hause. Barbara hatte ihn abgewischt und mich dafür verantwortlich gemacht, bevor sie merkte, dass Donald weg war.
    Mir gefällt die Vorstellung, dass er dasaß, über die Thermoskanne gebeugt. Der Becher klemmte zwischen seinen Knien, und er hatte Mühe, die Flasche mit beiden Händen gerade zu halten, damit er eingießen konnte. Sehr heißer schwarzer Kaffee, so beladen mit Zucker, dass die Flüssigkeit ihn nicht mehr aufnehmen konnte – auf dem Boden des Kunststoffbechers hätte sich Satz gebildet. Der Geruch des Kaffees, zusammen mit dem Meer, den faulenden Algen, dem klebrigen Schlick. Hellwach, nach dem ganzen Kaffee. Eher nicht anfällig dafür, einen Fehler zu machen. Und das Wetter war an diesem Morgen trocken – bei leichtem Wind. Er hätte es

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