Ich kenne dich
regelmäßig, dass nach ihrem Tod niemand darauf gekommen ist. Sie hat das Handy in der ganzen Schule herumgezeigt, alle wussten davon, aber ich nehme an, wir Mädchen waren es gewohnt, Dinge für uns zu behalten, und keiner von denen, die wegen Chloe befragt wurden, erwähnte es.
Carl und ich waren die Einzigen, die sie auf dem Handy anriefen, weil wir auch die Einzigen auf der Welt waren, die ihre Nummer kannten. Ihre Ansage auf der Mailbox ist persönlicher als die meisten und für uns beide bestimmt, in einem falschen amerikanischen Akzent, bei dem ich jedes Mal zusammenzuckte, wenn ich ihn hörte, sogar damals schon.
»Lo, Carl – ihr wisst, was ihr zu tun habt. Und schön artig bleiben, wenn ihr was draufsprecht! Wartet auf den Piepton. Los geht’s!«
Meine Stimme ist auch drauf, heiser und panisch, als ich ihr eine Nachricht hinterließ, die sie nie gelöscht hat, wie ich erst nach ihrem Tod erfuhr. Ich lauschte meiner eigenen hektischen Stimme, die sie anflehte, nicht zickig zu sein und endlich an ihr verdammtes Handy zu gehen – ich plärrte auf Band, was ich versucht hatte, ihr seit fast einem Monat persönlich zu sagen.
Ich saß dann in meinem Zimmer und hörte die Nachricht ab, während ich mich innerlich kalt und leer fühlte, und hörte sie wieder und wieder und wieder, bis der Akku leer war – und ich fragte mich, was für ein Spiel sie gespielt hatte.
12
In jener Silvesternacht nahm ich mein Handy mit ins Bett, für den Fall, dass sie anrief, um mir ein frohes neues Jahr zu wünschen. Nichts. Ich hörte erst von ihr, als wir wieder in die Schule mussten. Aber gerade als ich dachte, die Freundschaft zwischen uns hätte sich für immer erledigt, beschloss sie, mich wieder ins Vertrauen zu ziehen.
Sie kam auf mich zu, als wir nach der Morgenregistrierung aus dem Raum strömten.
»Na, alles klar?« Sie hatte immer ein umwerfendes Lächeln. Es funktionierte bei fast allen.
»Ja, alles wie immer«, erwiderte ich und wandte mich ab. Ich setzte mich in Bewegung – als wäre der Geografieraum der Ort auf der Welt, an dem ich jetzt am liebsten sein wollte.
»Warum behandelst du mich wie Luft?«, fragte sie, während sie neben mir herlief. Sie zog an meinem Arm, und ich blieb stehen. Sie knipste wieder dieses Lächeln an – volle Strahlung. Ihre Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, und sie schüttelte den Kopf, sodass er hin und her wedelte, während sie weiterredete. »Komm schon, hab dich nicht so.«
»Wo hast du gesteckt? Was ist dein Problem?« Ich wollte die Party nicht erwähnen. Es klang kleinlich und abhängig.
»Du weißt doch, wie das manchmal ist. Meine Eltern haben die ganze Verwandtschaft im Umkreis eingeladen. Die haben bei uns übernachtet.«
»Ja«, sagte ich. »Wegen eurer Party. Ich dachte, ich wäre auch eingeladen?« Ich wollte nicht heulen. »Ich bin die ganze Zeit aufgeblieben.«
Ich spürte, dass die Tränen sowieso kamen, und wandte das Gesicht ab, damit sie sie nicht sah. Sie machte einen Schritt zur Seite, um den Blickkontakt mit mir wiederherzustellen, und ich setzte mich wieder in Bewegung.
»Was habe ich getan? Ich habe dir nichts getan. Hat es was mit Carl zu tun? Hast du Emma stattdessen eingeladen?«
Chloe schlang den Arm um meine Schulter und drückte mich.
»Hab dich nicht so«, sagte sie und lachte. »Es wird noch jede Menge Partys geben. Du bist meine beste Freundin, ich wollte dich nicht vergraulen.«
Ich schniefte. »Was war es dann?«
Ich starrte sie an und wartete auf eine Erklärung, die alles wieder in Ordnung bringen würde. Wenn sie krank gewesen wäre oder Hausarrest gehabt hätte oder ihre Eltern von Carl erfahren und ihr verboten hätten, das Telefon zu benutzen. Oder wenn es einen Todesfall in der Familie gegeben hätte, oder wenn die Eheprobleme schlimmer geworden wären und Nathan beide verlassen hätte. Sowas in der Art. Ich hatte wirklich das dringende Bedürfnis, dass eins davon der Grund war. Chloe starrte zurück. Sie sah müde aus. Ihr Make-up war dezenter als sonst, und ich konnte kleine rote Flecken auf ihren Wangen unter den Augen erkennen, wie ein Ekzem im Anfangsstadium.
»Also?«
Sie seufzte. Drückte mich wieder. Legte den Kopf an meine Schulter. Ich spürte, wie ihre Haare an meinem Hals kitzelten.
»Ich muss mit dir reden.« Ihre Stimme war gedämpft. »Mit mir stimmt was nicht.«
»Was du nicht sagst.«
Es schoss aus mir heraus, ohne dass ich überlegte. Chloe öffnete den Mund, schnaubte, schnippte ihre
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