Ich kenne dich
schon sagen, sie soll sich verpissen, aber die Mädchen vor dem Spiegel hatten uns bemerkt, während wir mit unseren Taschen und der Kabinentür kämpften.
»Seht mal, die beiden«, sagte eine.
»Seht euch diese Lesben an.«
Es gab ein leises Gejohle, und zwei der Mädchen machten gleichzeitig »Wuuuh!«, was die anderen zum Lachen brachte.
»Let’s be friends«, sagte eine andere.
Das ist ein Spruch, den alle benutzten, sogar die Jungs. Manchmal benutzte ich ihn auch, lange bevor ich wusste, was er bedeutete. Es war die Art von Sprüchen, die einem in der Schlange vor der Essensausgabe zugeraunt wurden. Man musste ihn mit einer bestimmten Betonung sagen, sonst funktionierte er nicht. Lesbefrens. Genau so. Ich fand ihn nicht besonders lustig, aber ich lag falsch – Chloe fand ihn zum Brüllen.
»Maul halten, ihr Schlampen!«, rief sie über die Kabinenwand hinweg. Ich stand mit dem Gesicht zur Tür, und ich schob den Riegel vor und betrachtete innen die Buchstaben und Bilder, bis das laute Hämmern draußen aufhörte.
»Was ist los mit dir?«, fragte ich.
Eine Katastrophe, die mit Carl zu tun hatte, garantiert. Nicht so schlimm, aber schlimm genug, um Chloe aufzuregen. Obwohl ich zuvor schon von Streitereien mit Carl erfahren, mir alles geduldig angehört und mich einverstanden erklärt hatte, zu ihr zu gehen und dort zu übernachten und Bacardi Breezers zu trinken und Titanic zu schauen, damit sie sich besser fühlte, war mir heute nicht danach.
»Ich kann es dir nicht sagen, wenn du mir nicht versprichst, es für dich zu behalten. Das ist vertraulich.«
»Klar«, sagte ich. »Vertraulich« war ein Wort, das Chloe recht oft benutzte.
»Es tut mir leid wegen der Party. Ich hatte andere Dinge im Kopf.«
»Was denn?«
»Das versuche ich dir ja zu sagen.«
»Ist die Party abgeblasen worden?«
»Nein, sie ist nicht abgeblasen worden. Vergiss einfach mal die verdammte Party, ja? Du weißt, ich hätte dich angerufen, hätte dir Bescheid gegeben, was los ist, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte«, sagte sie.
»Klar.«
»Sei nicht so. Es ist ernst.« Sie machte eine Pause, und ich fragte mich, ob sie jetzt anfangen würde, mich zu belügen. »Carl und ich hatten Sex«, sagte sie, ohne zu lächeln, sondern mit einem blassen, ausdruckslosen Gesicht. Sie mied meinen Blick. »Also so richtig, bis zum Anschlag.«
»Mein Gott, du redest wochenlang von dieser Party, und dann lässt du mich hängen, bloß weil du dich lieber von deinem Freund flachlegen lässt?«
Ich hielt meine Stimme gesenkt, aber ich konnte das Geschnatter draußen hören, das Rauschen von Wasser. Die anderen schenkten uns keine Beachtung mehr. Ich legte die Hand auf die Türklinke.
»Lola!« Es war etwas in ihrer Stimme, etwas Schrilles und Zerbrechliches, das mich veranlasste zu bleiben.
»Ich weiß das alles bereits«, sagte ich. »Du hast mich also versetzt wegen Carl. Surprise, surprise . Wir kommen zu spät zu Ernährungslehre.«
»Du weißt nicht … « Sie senkte den Kopf und kratzte sich im Nacken. »Wir haben es vorher noch nie gemacht.«
»Ich dachte, du hast gesagt … «
»Wir haben andere Sachen gemacht«, fiel sie rasch dazwischen, »was auf dasselbe hinausläuft. Es hätte ja auch sein können. Ich meine, ich hatte keine Klamotten mehr an und so, oder?«
»Klar«, sagte ich.
»Es war seine Idee!«, stieß Chloe schrill hervor. »Er wollte damit warten, bis ich wirklich dazu bereit war. Das hat er gesagt. Es gab keinen Grund zur Eile. Er war happy mit dem anderen Kram. Die Fotos und so.«
Ich sagte nichts. Ich wusste ganz sicher, dass Chloe angedeutet, wenn nicht sogar behauptet hatte, dass sie und Carl von Anfang an richtigen Sex hatten. Ungefähr ab dem zweiten Tag nach ihrem Kennenlernen. Sie hatte immer wieder davon angefangen, wie groß sein Schwanz war und dass es viel besser wäre, mit einem Mann zusammen zu sein, der reifer war und erfahrener als die Bubis an unserer Schule. Sie hatte das immer weiter so getrieben, hatte mich damit wochenlang zugetextet.
»Egal. Jedenfalls haben wir es jetzt getan. Aber es ist was schiefgegangen.«
»Was meinst du?«
»Es tut weh, wie Hölle.«
»Das ist doch normal, oder?« Ich zog eine Grimasse und dachte an aufgerissenes Fleisch. Sexualkunde gab’s erst in der Zehnten, aber ich glaubte, ich wusste das Wesentliche.
»Das weiß ich. Ich bin ja nicht blöd.« Chloe schüttelte den Kopf, wollte mich aber immer noch nicht ansehen. »Ich meine, ich wusste vorher schon,
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