Ich kenne dich
energisch die Zähne zusammen. »Lass mich einfach in Ruhe, ich werde mich selbst darum kümmern. Wehe, du sagst was, dann schwöre ich bei Gott, dass du es bereuen wirst.«
Ein, zwei Sekunden lang war ich sprachlos. Mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte, und ich wusste nicht, was so falsch war an dem, was ich gesagt hatte. Chloes Überempfindlichkeit erschreckte mich, obwohl ich daran hätte gewöhnt sein müssen, und ich wurde das quälende Gefühl nicht los, dass noch etwas anderes dahintersteckte, das sie mir verschwieg.
Chloe marschierte schnurstracks aus der Toilette und den Gang entlang, bevor ich meinen Rucksack aufheben konnte und die Kabine verließ. Die Mädchen vor dem Spiegel waren weg. Ich wusch mir die Hände, obwohl ich gar nicht gewesen war, aber ich hatte den Außengriff der Tür und den Riegel innen und den Halter für das Toilettenpapier berührt, und an all diesen Stellen wimmelt es von Bakterien.
Ich bekam Chloe für den Rest des Tages nicht mehr zu sehen. Wenn wir uns nachmittags ausgetragen hatten, gingen wir normalerweise zu dem Tunnel, der die Schule mit dem Freizeitzentrum verband, und zogen Chips, Kit-Kat und Cola aus den Automaten in der Vorhalle, bevor wir uns in unterschiedliche Richtungen auf den Heimweg machten. Ich wartete dort auf sie, aber nicht sehr lange. Unsere Schule war kein Ort, wo man sich gern alleine aufhielt, besonders für mich nicht. Ich wusste, Chloe beschäftigte etwas, etwas Wichtiges, aber das war kein Grund, gleich so überzureagieren, wenn ich ihr doch nur helfen wollte. Es war alles wegen Carl, sowieso. Eindeutig. Heute war das erste Mal seit Weihnachten, dass ich sie gesehen beziehungsweise von ihr gehört hatte, und sie hatte nicht einmal gefragt, wie es mir ging, was in Anbetracht ihres Verhaltens, seit sie sich von Carl vögeln ließ, einfach absurd war.
Und dabei hatte er sie nicht einmal gevögelt!
Ich wusste ohnehin nicht, was so toll war an Carl. Ich fühlte das Kunststoffgehäuse des Handys in meiner Jackentasche und hätte es am liebsten weggeworfen. Das kam auch von ihm. Chloes Plastikschrott, als müsste ich dafür dankbar sein. Und auch andere Sachen, wie Chauffeurdienste und CD s oder Videos oder manchmal eine Schachtel Zigaretten. Nur um Chloe dazu zu bringen, dass sie sich von ihm nageln ließ, und sicherzustellen, dass ich den Mund hielt, weil er schließlich eindeutig zu alt für sie war.
Und er sah nicht mal gut aus. Er hatte schrecklich fettige Haare, und die weißen Hemden, die er bei der Arbeit tragen musste, waren alle braun verfärbt am Kragenrand, und er hatte Pickel am Hals, und auch wenn er einen eigenen Wagen hatte, es war eine Scheißkarre. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er Chloe darin vögelte. Ich konnte nicht glauben, dass die beiden am zweiten Weihnachtstag noch mal rausgefahren waren, nachdem sie mich abgesetzt hatten. Ich erinnerte mich plötzlich an die unheimliche Atmosphäre im Wagen während der ganzen Rückfahrt, was ich darauf zurückgeführt hatte, dass Carl genervt war von Wilson. Aber es hatte nichts mit Wilson zu tun, sondern mit mir, weil ich im Weg war.
Und was passierte danach? Ich war auf halbem Weg zur Bushaltestelle und ging schnell, weil es eiskalt war und ich meine Handschuhe verloren hatte. Wahrscheinlich fuhren die beiden zu irgendeinem Parkplatz auf der Rückseite einer Tankstelle und trieben es bei laufendem Motor. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Carl wohl aussah ohne Klamotten.
Ich hatte bereits seinen Oberkörper gesehen. Nur einmal, als er im Wagen sein Arbeitshemd auszog und ein T-Shirt überstreifte, weil er uns zu einem Burger einladen wollte. Er war ganz weiß und dünn, man konnte Leberflecke auf seinen Rippen sehen und die dicken braunen Beulen seiner Brustwarzen. Wahrscheinlich zog er sich nie richtig aus, wenn er es mit Chloe machte, dafür war es zu kalt. Ich dachte an seine hervorstehenden Hüftknochen und die dunklen Trauerränder unter seinen Fingernägeln. Ich hatte ein Gefühl. Ich kann es nicht beschreiben. Wie ein Rinnsal warmes Wasser an meinem Rücken herunter und über die Haut meiner Arme. Ich probierte die Vorstellung noch mal aus: Carl, der seinen Hintern vom Sitz hob, um seinen Gürtel aufzuschnallen. Das Gefühl kam wieder, aber dieses Mal schwächer.
Ich klappte meine Kapuze hoch, fuhr mit der Zunge über meine spröden Lippen und beschloss, mir zu überlegen, wie ich Chloe von Carl wegkriegen konnte, damit alles wieder normal war, so schön, wie es im
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