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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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viel interessanter war als alles andere.
    »Ich wollte im Krankenwagen mitfahren«, sagte sie und blickte auf ihre Tasche, statt irgendjemanden anzusehen. »Aber die wussten nicht, was sie hat. Es hätte ansteckend sein können.«
    Sie wandte den Kopf und lächelte glückselig als Antwort auf eine Frage, die ich nicht gehört hatte.
    »Meine Mum fährt mich nach der Schule wahrscheinlich zu ihr, falls sie schon fit genug ist, um Besucher zu empfangen. Ich werde ihr ausrichten, was du gesagt hast, ja? Ich werde eine Sammelaktion organisieren.«
    Ich wusste, dass sie über Chloe sprachen – wer sonst hätte so viel Interesse erzeugt? Chloe könnte hundert Freundinnen haben, wenn sie wollte, aber aus irgendeinem Grund zog sie es vor, sich auf eine zu beschränken, und niemand, nicht einmal ich, konnte sich erklären, warum sie mich ausgesucht hatte. Emma blickte mich an, und ich erwartete eine Art besondere Ansprache, ein privilegiertes Stück Information.
    »Ich bin jetzt hier«, hätte ich am liebsten gesagt. »Ich kann übernehmen.«
    Emma lächelte behaglich, schnippte an ihrem Mantel in Kniehöhe und sagte nichts.
    Sie war eine verdammte Lügnerin – ihre Mutter würde sie nirgendwohin fahren. Chloe hatte mich diesbezüglich bereits aufgeklärt. Emma wohnte in Ashton, zusammen mit ihrem Vater und ihren drei älteren Brüdern – eingepfercht in ein Haus, das nicht genügend Schlafzimmer hatte. Sie musste sich tatsächlich ein Zimmer mit ihrem siebzehnjährigen Bruder teilen, was ziemlich abartig war. Ihre Mutter war depressiv geworden und hatte die Familie verlassen, als Emma zwei Jahre alt war. Laut Chloe war Emmas Vater sehr gläubig und kam gut zurecht mit den Jungs, aber mit Emma wusste er nichts anzufangen – vor allem seit sie »sich entwickelt und Titten bekommen hat, weißt du?« Ich hatte Emma einmal zusammen mit ihrem Vater gesehen, auf dem Schulfest im Frühling, als sie zwischen den Ständen umherschlenderten. Er traute sich nicht, sie anzusehen – es war, als wäre sie nackt gewesen.
    Als Shanks hereinkam, um die Registrierung durchzuführen, klatschte er laut in die Hände. Es machte ein lautes, hohles Geräusch. Gestern, am ersten Tag, hatten wir Morgenversammlung, darum war dies die erste richtige Registrierung in diesem Jahr, und ich hatte ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Er klatschte weiter, während er zwischen den Tischen durchging nach vorne zum Pult, und als er davorstand, sich rückwärts dagegenlehnte und die Beine verschränkte, schlurften alle im Raum leise an ihre Plätze und stopften ihre Taschen unter die Tische.
    Mr Shanks war ganz okay. Hätten wir seinen Vornamen gewusst, hätten wir ihn wahrscheinlich damit ansprechen dürfen, wenn kein anderer Lehrer dabei war, und es hätte ihn nicht gestört, aber er hätte auch keine große Sache daraus gemacht und zum Beispiel versucht, unser »Kumpel« zu sein. Er war einfach ziemlich entspannt. Und außerdem riss er ständig Witze, aber solche, bei denen es keine Rolle spielte, ob man lachte oder nicht. Man konnte auch einfach nur lächeln über seine Sprüche oder leicht nicken, und das reichte, es war nicht peinlich.
    »Ich nehme an, ich kann von eurem Lärmpegel darauf schließen, dass ihr alle ruhige, gottesfürchtige, mit Hausaufgaben erfüllte Weihnachtsferien hattet und jetzt putzmunter seid und wieder nüchtern und erpicht darauf, mit der Arbeit loszulegen«, begann er.
    Ein paar Leute an dem Tisch ganz hinten stöhnten laut und brummten: »Wenn’s denn sein muss, Sir«, aber er lächelte nur und spannte mit den Daumen den Hahn, bevor er aus den Händen zwei kleine Pistolen machte, auf die hintere Reihe zielte, abdrückte und den imaginären Rauch wegblies.
    »Meine Damen und Herren, zieht eure Jacken aus, und lasst uns die Registrierung hinter uns bringen, bevor ich euch auf meine unglücklichen Kollegen loslasse«, sagte er und griff nach seinem Buch. Es gab weiteres Stöhnen und Rascheln, als die Leute sich aus ihren Jacken schälten, und dann wurde es still, während er die Namen aufrief.
    An der Schule gab es eine alberne Regel. Niemand durfte seine Jacke mit sich rumtragen. Da es keine Garderoben gab, musste man sich gegen Gebühr einen Spind besorgen oder seine Jacke in die Tasche stopfen. Und es gab nicht genug Spinde. Meine Jacke war feucht, weil es heute Morgen geschneit hatte: Eiskristalle wirbelten durch die dichte Luft und sammelten sich, um mir ins Gesicht und auf die Hände und auf meine neue Jacke zu fallen.

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