Ich kenne dich
als falscher Alarm entpuppt hatte. Oder sie hatte gelogen. Eins von beiden. Aber trotzdem lag sie im Krankenhaus. Was war los mit ihr? Ich fing an zu glauben, dass sie nur simulierte. Ihre Frisur war ordentlich. Sie hatte rosa Lippenbalsam aufgetragen, und ihr Pyjama sah ganz neu aus.
»Es geht mir gut«, sagte sie und schenkte mir ein breites Lächeln. »Gut. Ein bisschen müde, aber okay.«
Am Ende des Bereichs stand ein Fernseher auf einem Unterschrank. Es lief eine Wiederholung von The Crystal Maze , und Nathan legte das Diagramm weg und schlenderte hinüber, um zuzuschauen.
»Sie ist direkt vor der Schule zusammengeklappt, hast du das gewusst?«, sagte Amanda und legte die Hand über die Brust. »Ich war krank vor Sorge. Ihr Vater hatte beinahe einen Herzinfarkt. Einen buchstäblichen Herzinfarkt.«
Ich nickte. Natürlich wusste ich das, sonst wäre ich ja nicht hier , lag mir auf der Zunge.
»Emma hat ihr geholfen, dieser kleine Engel. Sie hat ihr eine Jacke unter den Kopf geschoben und ist losgerannt, um einen Lehrer zu verständigen. Sie wäre bei dir im Krankenwagen mitgefahren, wenn man es ihr erlaubt hätte, nicht wahr, Chloe?«
Chloe grinste. Amanda tätschelte geistesabwesend ihr Bein.
»Sie hatte immer Leute um sich, die auf sie aufgepasst haben«, sagte sie. »Seit sie ein Baby war. Das liegt daran, dass du so ein hübsches kleines Ding bist. Die Leute denken, du kommst nicht alleine zurecht.«
Niemand hörte Amanda zu. Ich versuchte, in Chloes Kopf hineinzustarren und mit bloßer Willenskraft telepathische Fähigkeiten zu entwickeln. Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, und sie lächelte wieder und hob leicht die Schulter.
»Gott sei Dank, dass Emma da war«, murmelte Amanda wieder und tätschelte immer noch Chloes Beine. »Wer weiß, was sonst passiert wäre? Ein junges Mädchen, bewusstlos und hilflos auf dem Gehweg. Die Vorstellung ist unerträglich, nicht wahr?«
Ich wandte mich frustriert ab und sah, wie sich das blaue Licht aus dem Fernseher auf Nathans glänzender Glatze widerspiegelte.
»Ich bin sicher, früher oder später wäre jemand vorbeigekommen«, sagte ich.
Selbst wenn es dieser Perverse gewesen wäre – er hätte Chloe nichts getan, was sie nicht schon mit Carl getan hatte, also spielte es keine Rolle, oder? Blöde Emma. Chloe fehlte nichts. Sie amüsierte sich prächtig.
»Was hat der Arzt gesagt?«, fragte ich.
Chloe lehnte sich zurück in die Kissen, ließ sich Zeit, während sie sich die nächste Praline aussuchte, legte den Kopf schief und seufzte.
»Eine Infektion«, sagte sie, »die ein bisschen ausgeartet ist. Morgen darf ich nach Hause.«
Sie hob den Arm zu mir, und ich sah den dünnen weißen Verband an ihrem Handgelenk und den Schlauch, der zu einem Infusionsständer neben ihrem Bett führte.
»Antibiotika«, erklärte sie stolz, »doppelte Dosis.«
Irgendwer hatte einen kleinen Stoffpinguin, der ein Herz hielt, an den Infusionsständer gehängt. Das Herz war mit einer blauen und weißen Schnörkelschrift beschriftet. Gute Besserung . Chloe folgte meinem Blick.
»Der ist von Emma«, sagte sie. »Niedlich, nicht?«
»Sie war schon hier?«
Sie nickte. »Direkt nach der Schule, mit dem Taxi. Sie wollten sie nicht reinlassen, weil noch keine Besuchszeit war, aber sie hat behauptet, sie wäre meine Schwester.« Chloe lachte. »Freches Luder.«
»Von einer Infektion wird man nicht ohnmächtig«, sagte ich.
»Ich hatte Fieber«, beharrte Chloe, aber ohne viel Nachdruck. »Herrje, lies einfach mein Krankenblatt, ja?«
»Es war die Wasserleitung, bis hoch zu den Nieren«, flüsterte Amanda mit unmöglicher Begeisterung. »Weißt du.«
Ich dachte, sie meinte damit, dass Chloe sich etwas eingefangen hatte von dem Wasser in der Schule, was mich nicht gewundert hätte. Wenn man im Speisesaal um Wasser bat, bekam man es in einem kleinen Styroporbecher – wir erinnerten uns gegenseitig daran, die Becher nach Gebrauch kaputtzumachen, weil es sonst sicher war, dass die Kantinenfrauen sie aus dem Müll fischten, um sie wiederzuverwenden.
Amanda nickte vielsagend auf Chloes Oberschenkel.
»Sie meint meine Blase«, sagte Chloe laut und zeigte mit den Daumen auf ihren Unterleib. »Nieren, Pissloch, alles eben. Es war grauenhaft.« Sie sagte »grauenhaft« noch lauter als »Pissloch«, ohne die Augen von Amanda abzuwenden, und lächelte, als ihre Mutter zusammenzuckte.
»Ich verstehe einfach nicht, warum du mir nicht schon früher gesagt hast, dass ich dich
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