Ich kenne dich
kleiner, tragbarer Farbfernseher. Das Bild wackelte und flackerte.
»Beweg mal die Antenne«, sagte Chloe. Nathan gehorchte ihr. »Das sind deine ganzen Plomben. Die stören den Empfang.«
Ich ignorierte sie, denn bei Chloe war es so: Je früher sie das letzte Wort hatte, desto eher gab sie Ruhe. Nathan schob den dünnen Drahtbügel vor und zurück, bis das Bild klar wurde und das Flackern aufhörte.
Ich setzte mich zu ihr aufs Bett. Ich dachte an Wilson und malte mir aus, wie er durch die Stadt wanderte und sich vorstellte, Fragen stellte, versuchte, freundlich zu sein, und den Leuten auf die Nerven ging.
Und dann verschwand er einfach, als hätte es ihn nie gegeben.
Terry skizzierte Wilsons letzte Spuren, die bekannt waren – anhand der Überwachungskameras, die seinen langen Weg durch die Stadt verfolgt hatten. Sie zeigten einen körnigen Schwarzweißfilm von Wilson, als er vor einer Tankstelle stand und einen Mann beobachtete, der Luft in seine Reifen füllte. Die Kamera schien immer näher an Wilson heranzurücken und erwischte ihn in einem privaten Moment, als er behutsam etwas aus seiner Jacke zog, es auswickelte und anfing, es zu essen.
»Dabei handelte es sich«, informierte Terry uns, »um ein Würstchen im Schlafrock, das vom Weihnachtsbuffet übrig war – eingewickelt in ein Stück Küchenrolle von Wilsons Mutter, und höchstwahrscheinlich seine letzte Mahlzeit.«
Chloe prustete vor Lachen. Ich starrte sie an. Sie war vertieft in die Bilder im Fernsehen – starrte konzentriert darauf. Auch wenn sie Wilson nur kurz gesehen hatte, war es einfach unmöglich, dass sie ihn nicht wiedererkannte – war ihr nicht bewusst, dass wir drei wahrscheinlich die Letzten waren, die ihn gesehen hatten?
»Während die Polizei noch keinen ernsthaften Grund zur Besorgnis sieht, möchte sie dennoch gerne mit den Personen sprechen, die in Verbindung stehen mit einer … « – er malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft – »… Bürgerwehrgruppe, die sich an jenem Nachmittag auf dem Gelände des Naturreservats außerhalb der Stadt versammelte. Diese Vereinigung, die hauptsächlich aus den Vätern, Onkeln und älteren Brüdern der jungen Mädchen besteht, die in letzter Zeit überfallen wurden, hat geschworen, so lange die dunklen und abgelegenen Stellen der Stadt abzusuchen, bis der Vermisste gefunden ist.«
Terry machte eine bedeutungsvolle Pause. Fiona raschelte ehrfürchtig mit Papieren neben ihm auf der Couch. »Unsere Telefonleitungen sind freigeschaltet«, fügte er hinzu, in gedämpftem Ton.
Ich saß direkt neben Chloe. Konnte den Druck ihres Knies gegen meinen Rücken spüren. Ich drehte den Kopf und versuchte, ihren Blick aufzufangen, aber sie zog eine Locke gerade und untersuchte die Spitzen auf Spliss. Als ich sie anstupste, fauchte sie mich an.
»Sei still!«
Chloe lachte. Ich glaube, vor Nervosität. Wenn ich sie ansah, schaute sie weg. Nathan stand auf, und sofort ertönte Geschnatter und Protest von den anderen Patienten und deren Besuchern. Er duckte sich, als würde er einen Kinosaal verlassen, bevor der Abspann zu Ende war.
»Sorry, sorry«, sagte er. »Ich muss kurz im Büro anrufen und Bescheid geben, wann ich wiederkomme.«
»Kauf mir eine Limo, wenn du rausgehst«, verlangte Chloe. Amanda sah über ihre Schulter Nathan hinterher, der das Kleingeld in seiner Hand zählte, während er sich entfernte.
»Er weiß bestimmt nicht, welche Sorte er dir mitbringen soll«, bemerkte sie schwach. »Besser, ich kümmere mich darum. Dauert bloß ein paar Sekunden, Mädels«, sagte sie, und ihre Absätze klapperten über den harten Boden, während sie ihm hinterhereilte. »Du passt auf sie auf, nicht wahr, Herzchen?«
Ich hatte keine Zeit zu antworten, bevor sie weg war.
»Von wegen, er ruft im Büro an«, stieß Chloe bitter hervor. »Ich wette mit dir um jede beliebige Summe, dass er mit dieser Grundschullehrerin telefoniert.« Etwas kam ihr in den Sinn, und sie lächelte. »Ich wette, ich habe seine Pläne durchkreuzt. Eigentlich ist er heute Abend eingeladen zu einem … « – sie malte ein Paar schwere Anführungszeichen in die Luft, das hatte sie sich von Terry abgeschaut – »… ›Vortrag über Gesundheit und Sicherheit‹.«
»Chloe, das ist der Typ, den wir an Weihnachten gesehen haben«, sagte ich.
»Oh, sei still«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf.
»Das ist er«, beharrte ich. »Ich habe mich mit ihm unterhalten. Er hatte einen Fußball. Das ist er
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