Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman
war ihm nur aus der Hosentasche oder aus dem Jackett gerutscht. Vermutlich würde er sie nicht so schnell vermissen, weil Checker immer alles mit der goldenen Karte bezahlte. Vivi nagte an ihrer Unterlippe. Die Karte brannte zwischen ihren Fingern. Dann legte sie sie auf den Nachtschrank, als hätte sie sich verbrüht.
Immer schön ehrlich bleiben!, befahl sie sich. Nicht auf die silberhellen Engelsstimmen hören, die so verführerisch »Money, money, money« singen! Vivi war stolz auf sich. Test bestanden. Unrecht Gut gedeihet nicht, das hatte sie schließlich bis zum Exzess erfahren. Danke, Tante Elfriede.
Verbissen wienerte sie den Glasschreibtisch. Zupfte ein paar welke Blüten von den Orchideen. Versprühte einen Raumduft. Hängte das Jackett in den Kleiderschrank. Und dann war’s vorbei mit ihrer edelmütigen Zurückhaltung.
Ihr Puls raste. Es war kurz vor fünf. Ihr blieben vier Stunden Zeit. Vier Stunden, die zum Countdown ihrer finanziellen Unabhängigkeit werden konnten, wenn sie es einigermaßen schlau anstellte. Aber war sie auch schlau genug? In Vivis Gehirn glühten die Synapsen. Es ging um ihre Existenz! Dies war eine Chance, die nicht ein zweites Mal kam!
Einen Plan nach dem anderen verwarf sie. Es war zu kompliziert. Man würde sofort auf sie kommen, wenn die Kreditkarte fehlte. Oder die Zimmermädchen verdächtigen. Verflixt und zugenäht! Ich bin eben kein Kowalski, der arglose Frauenmit alten Müttern in Seniorenresidenzen ködert, stellte sie entmutigt fest. Doch plötzlich hatte sie eine Eingebung. Ein Gedanke gesellte sich zum nächsten, die Ideen verknüpften sich wie von selbst zu einem neuen Plan, bis sie endlich wusste, was zu tun war.
Gewissenhaft überprüfte sie noch einmal den Zustand der Suite und gab anschließend dem Housekeeping ihre Anweisungen durch. Als alles erledigt war, fuhr sie mit dem Dienstbotenaufzug ins Erdgeschoss und verließ das Hotel durch einen Seiteneingang.
Immer wieder ging sie ihre Strategie durch. Noch konnte sie es lassen. Noch hatte sie nichts Illegales getan, außer dass sich in ihrer Handtasche die Platinkarte von Mick Dresen befand. Aber hatte er nicht eine Abreibung verdient? Und Vivi ein Leben ohne Männer, die sie ausnahmen, demütigten und bedrängten? Also los, zieh’s durch!
Tante Elfriede, der man, so hoffte Vivi, im Himmel gerade ein Gläschen Holunderblütensekt kredenzte, hatte die Inspiration geliefert. In einem altmodischen Geschäft für Damenoberbekleidung erstand sie ein wadenlanges schwarzes Omakleid. Im Kaufhaus daneben wählte sie Gesundheitsschuhe sowie einen breitkrempigen schwarzen Strohhut. Sie zahlte bar und ließ alles gleich an. Mit einer riesigen rosa getönten Sonnenbrille und einer unförmigen Handtasche rundete sie das eigenwillige Outfit ab. Tante Elfriede wäre stolz auf sie gewesen.
Als sie wieder auf der Straße stand, fiel ihr etwas ein. An alles hatte sie gedacht, bloß eines hatte sie übersehen: dass man das Alter einer Frau an den Händen erkennt. Gesichter konnteman bis zum Anschlag liften, Hände nicht. Sie kehrte noch einmal in das Kaufhaus zurück und entschied sich für weiße Handschuhe aus hauchdünnem Leder.
Was sie vorhatte, war tollkühn, gefährlich und hochkriminell. Aber es traf wahrlich keinen Armen, beruhigte sie sich. Mick Dresen hatte mehr Geld, als er jemals zum Fenster rauswerfen konnte. Ganz in der Tradition von Robin Hood würde sie zudem eine erkleckliche Summe an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden. Falls die Sache klappte. Sicher war sie nicht, doch der Mut der Verzweiflung trieb sie vor sich her.
Todesmutig betrat sie wenig später einen alteingesessenen Juwelierladen, der an der Zeil lag, der belebten Geschäftsstraße in der Frankfurter Innenstadt. Früher hatte sie manchmal vor dem Schaufenster gestanden, ohne die geringste Aussicht darauf, jemals in den Besitz teurer Pretiosen zu gelangen. Vivi machte sich ohnehin wenig aus Schmuck. Und Werner wäre nicht im Traum darauf gekommen, ihr Gold oder Juwelen zu schenken. Bei ihm tat’s auch ein Alpenveilchen.
Tief gebeugt und mit schleppendem Gang durchquerte sie den Laden, bis sie vor einer hell erleuchteten Vitrine haltmachte. Ein smarter Verkäufer glitt heran. Er war noch jung, elegant gekleidet und trug einen protzigen Chronometer am Handgelenk.
»Gnädige Frau, darf ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten?«
Vivi sah nicht auf. Die vielen Kameras, die den Verkaufsraum im Visier hatten, waren diskret angebracht, aber
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