Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman
Gesicht war unnatürlich blass, und er schnappte nach Luft.
»Schatz, nimm noch eine Frikadelle! Die sind mein ganzer Stolz!«
»Ich weiß nicht, ich …«, stöhnte er.
»Doch, doch, Liebe geht durch den Magen, Berthi.« Sie schob ihm eine weitere Frikadelle in den Mund. »So ist es gut. Brav essen, das Dessert gibt’s bei mir zu Hause …«
»… im Schlafgemach?«, röchelte Berthold Seitz.
»Könnte man so stehen lassen«, erwiderte Vivi schelmisch.
Im Internet hatte sie alles über die medizinischen Details gelesen. Sie konnte nur hoffen, dass der liebe Berthi nicht übertrieben hatte. Falls ihn wirklich eine ernstzunehmende Haselnussallergie plagte, blühte ihm ein anaphylaktischer Schock. Sie hatte alle Symptome auswendig gelernt: Blutdruckabfall, Verengung der Atemwege, Kreislaufzusammenbruch, Herzstillstand. Sofern dieser miese Erpresser überhaupt ein Herz hatte.
Verwirrt starrte er Vivi an. »Ich … fühle mich … gar nicht … äh … wohl.«
Sie tätschelte seine kreidebleiche Stirn. »Och, das ist sicher nur die Aufregung. Trink noch ein Glas Prosecco!«
Mit weit aufgerissenen Augen stierte er ins Leere. »Was … was … war in den … Frikad…?«
Vivi wollte ihn in den letzten Sekunden seines schändlichen Lebens nicht beunruhigen. Deshalb ersparte sie ihm die Schilderung, wie sie zwei ganze Tüten Haselnüsse gemahlen und in den Frikadellenteig gerührt hatte. Was ihm angesichts der äußerst kräftigen Würzmischung nicht weiter aufgefallen war.
»Geheimrezept«, sagte sie verschwörerisch, während Berthold Seitz zur Seite sank. »Ich werde nun ein wenig lustwandeln, bin gleich wieder da!«
Sie erhob sich, klopfte sich ein paar Frikadellenkrümel vom Kleid und stapfte davon. Den anschließenden Gang durch die Weinberge, die in der Abenddämmerung besonders friedlich aussahen, hätte sie sicherlich genossen – wenn nicht auf ihrer Picknickdecke ein Mann gelegen hätte, dessen Körper gerade von der Initialphase in die systemische Reaktion wechselte. So jedenfalls war die Sache im Internet beschrieben worden.
Wieder hörte sie ein merkwürdiges Knacken. Ängstlich spähte sie umher, ob sich doch noch irgendwelche verspäteten Spaziergänger hierher verirrt hatten. Aber es blieb alles ruhig. Selbst die Vögel hatten aufgehört zu zwitschern. Unaufhaltsam senkte sich die Dunkelheit über die Weinreben. Zeit, diesen unheilvollen Abend zu beenden.
Zum Picknickplatz zurückgekehrt, verharrte sie eine Weile vor dem dahingegangenen Berthold Seitz. Ein ungläubiges Staunen lag auf seinen reglosen Zügen. Vielleicht hatte er im Moment seines Ablebens noch von einer heißen Nacht mit Vivi geträumt. Sie schüttelte sich bei der Erinnerung an seine Hand auf ihrem nackten Knie. Voll eklig war das gewesen, und es wäre noch weit unappetitlicher geworden, wenn sie nicht die Notbremse gezogen hätte.
Sacht zog sie die Picknickdecke unter seinem Körper hervor und faltete sie zusammen. Dann packte sie die Reste des Mahls in den mitgebrachten Korb, suchte den Ort des Geschehens nach Spuren ab und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen.
Als sie nach Hause fuhr, fühlte sie sich wie befreit. Tja, der ebenso penetrante wie intrigante Berthold Seitz hatte sich eben mit der Falschen angelegt. »Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage an die Männerwelt«, erklärte sie dem Rückspiegel.»Ich bin nicht mehr das hilflose Dummerlein, sondern eine Frau, die sich verteidigt. Also Obacht – wer mir komisch kommt, springt über die Klinge!«
Eine Antwort erhielt sie nicht. Deshalb begann sie zu singen: »Goodbye, my love, goodbye …« Obwohl das eindeutig weder zu Werner, zu Checker noch zu Berthold passte, sondern einzig und allein zu ihrem wunderbaren, einzigartigen und unvergleichlichen Richard.
Das Wochenende verbrachte Vivi damit, Kekse für die Kinder zu backen, die den Sandkasten gar nicht mehr verließen, und wenn, dann nur, um sich auf die Schaukel zu stürzen. Der Vorgarten glich jetzt eher einem Kindergarten. Vivi war glücklich darüber. Auch wenn eine innere Stimme ihr zuflüsterte, dass es ihre eigenen Kinder hätten sein können, die da draußen spielten. Aber was halfen solch trübe Gedanken?
Als sie zwischendurch den Poststapel auf dem Couchtisch sortierte, fand sie einen Brief von Werners Sohn Hans-Peter. Er teilte ihr mit, dass sie innerhalb der kommenden drei Wochen ausziehen müsse. Andernfalls drohe eine Räumungsklage. Weder er noch Inge-Gundula seien gewillt, länger zu
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