Ich krieg die Krise! (German Edition)
Jahrhunderte ist der Quelle-Katalog plötzlich verschwunden. Die Iren zeigen im Trinity College in Dublin das Book of Kells und wenden täglich eine Seite und so sollte auch in der Berliner Humboldt-Universität der Quelle-Katalog ausgelegt sein, die letzte Ausgabe, und täglich einmal umgeblättert werden!!
Der Quelle-Katalog war die Bibel des Wirtschaftswunders. Deutschlands geliebtestes Buch! Mit größerer Verbreitung als die Bibel sie je haben wird, mit einer Haushaltsabdeckung von 124 Prozent. Ständige Neuauflagen. Nun ist er verschwunden von den Bestsellerlisten. Nun heißt es: Ich bin dann mal weg. Quelle – das war permanenter Schnäppchenkauf. Selbst bei Überteuerung stetig empfundene Tiefstpreise.
Und jeder neue Katalog suggerierte uns, den Kunden: Quelle »loves you, yeah, yeah, yeah, and with a love like that, you know you should be glad«.
Der Quelle-Katalog, das waren »strawberry fields forever«. Das war der Katalog für »eight days a week« und er machte »glad all over«. »Here comes the sun.« Und das sollte halten von »yesterday« bis »when I’m sixty-four« – »love me do«. Genauso wie es die Beatles gab und die Rolling Stones, genauso wie es Michael Jackson gab und Prince, gab es den Quelle-Katalog und den Otto -Versand. Bei uns gab es nie Otto , wir waren ein Quelle-Haushalt! Für den Postboten aber waren alle Versandhaus-Kataloge gleich. Postboten trainierten das komplette Jahr an Hanteln. Sie trainierten für diese Auslieferung der Superlative. Zweimal jährlich. Der Frühling/Sommer-Katalog und der Herbst/Winter-Katalog, das war die Dualität des Jahres. Das war die eigentliche Einteilung der Jahreszeiten, es gab nur Strick oder Ripp, Winter oder Sommer, Sonne oder Frost. Dazwischen lagen die Übergangsmäntel.
Und hier gab es alles. Wirklich alles: Fahrräder, Waschmaschinen, Uhren, Schnuller, Swimmingpools, Staubsauger, Bettbezüge und Kreuzschlitzschraubenzieher. Aber vor allem gab es Kleidung. Und zwar Damenkleidung: Röcke, Kleider, Bademoden, Unterwäsche. Der Playboy ? Sowieso zu teuer. Die St. Pauli Nachrichten ? So was hätten wir doch nicht im Hause haben dürfen. Wir jungen und alten Männer blätterten im Quelle-Katalog, wenn wir uns sexuell anregen wollten. Horst Seehofers verzweifelte Rettungsaktion für den Quelle-Katalog war reine Nostalgie und Selbstzweck. Warum diese Rettung nicht vom Wirtschaftsminister zu Guttenberg unterstützt wurde, ist sonnenklar. Zu Guttenberg ist eine ganz andere Generation, der hat schon Internet und erledigt das auf »Youporn.com«.
Man kann sich heute gar nicht vorstellen, wie schwierig es früher war, eine Frau nackt zu Gesicht zu bekommen. Im wahren Leben war das fast unmöglich. Was für den Literaten Henry Miller ist, Anais Nin oder die Emanuelle-Serie bei Rowohlt, das war für uns einfache Handarbeiter der Quelle-Katalog: Vorlage. Wir blätterten bei Damenmode durch Kleider, Röcke, Unterwäsche, Schuhe und Strümpfe. Nicht zu vergessen: Bademoden. Wir stellten uns vor, wie wir unsere Hand vorsichtig zitternd in Dekolletés steckten, wie wir Träger von Schultern schoben. Bei den BHs mussten wir uns gar nichts weiter vorstellen, denn allein die Wölbung der Brüste über dem Körbchen zu sehen, das reichte für unsere Erfüllung. Und wie manche Frauen in die Miederwaren geschossen wurden, war uns ein Rätsel.
Wir rollten Strümpfe hinunter und sahen Damen in High Heels vor uns, in schwarzen, spitzen Pumps, während unsere Freundinnen zu dieser Zeit ausschließlich in Birkenstock-Schlappen unterwegs waren. All diese Freundinnen in weiten Latzhosen und den selbst gebatikten Wallekleidern steckten wir in unserer Fantasie in das kleine Schwarze von Seite 27 mit den Spaghetti-Trägern. Dabei war der Quelle-Katalog um so viel besser als der Playboy und die St. Pauli Nachrichten . Die Heftchen gingen immer zu weit, weil sie ja nur das Nackte zeigten und nicht das erregende Verhülltsein wie der Katalog.
Mit all dem ist nun Schluss. Und zum ersten und wahrscheinlich einzigen Mal habe ich Horst Seehofer bedauert und mit ihm mitgelitten. Wie er da stand vor den Fernsehkameras, einem Robert de Niro gleich in seiner schauspielerischen Ausdruckskraft. Wie Horst Seehofer sich die Betroffenheit des Kunden vor Augen rief, wenn er den Katalog mit der Hand trotzig-traurig umkrallte. Und in seinem Gesicht spiegelten sich all die schönen Erinnerungen an – meine Quelle.
Dieses Verschwinden zeigt die wahre Größe der Krise, und keine
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