"Ich laufe, um zu laufen ...": Eine Frauen-Laufen-Anthologie (German Edition)
Läufer
Einen Schritt vor den anderen, das klappt jetzt wieder. Aber was soll ich zum Beispiel sagen, wenn all meine motivierten Kollegen ankündigen, dass sie bald in Hannover laufen wollen und da und dort. Und vielleicht sogar in Berlin (Halbmarathon). Und was soll ich antworten, wenn sie mich fragen: „Wo läufst du denn?“ oder gar „Was sind denn deine Pläne?“ Ganz schlimm wurde es, als ein Läufer aus meiner Gruppe meinte: „Mensch, Katrin! Du bist doch auch noch nicht Marathon gelaufen. Dann könnten wir doch zusammen…“ Ja, da fällt die Antwort nicht leicht. Ist ja schön und beachtlich, solch ein Ziel zuhaben. Aber ich bin froh, dass ich gesund bin und laufe. Es geht aber auch noch schlimmer als mit meinen Gruppen-Kollegen. Zwei Menschen aus meinem näheren Umfeld wollen es mal so richtig wissen und die verdammt schmutzigen 18 Kilometer des Strongmanruns bewältigen. Denen reichen das normale Laufen einfach so geradeaus und die klassischen Wettkämpfe wohl nicht mehr. Was soll ich dazu sagen? Glück wünschen ist bestimmt angebracht. Oder einfach das Thema wechseln und sagen „Ist auch wieder ganz schön kalt geworden, nicht?“
Wie sind die Knigge-Bestimmungen eigentlich beim Laufsport? Oder treten die vielleicht möglicherweise außer Kraft sobald Erwachsene und sogar gebildete Menschen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte bonbonfarbene, hautenge Shirts und Hosen tragen, ohne sich zu schämen. Um dann gemeinsam mit anderen, die auch so drauf sind, Verrenkungen auf bunten Bällen zu machen und im Dunkeln Fangen zu spielen, aber ohne jemals jemanden zu fangen. Ja, wahrscheinlich ist hier ein Stadium erreicht, in dem die üblichen Knigge-Regeln nicht mehr gelten. Es muss also ein eigenes Läufer-Benimm-Regelwerk her. Wäre doch mal ein interessantes Buchprojekt für unseren Lieblingstrainer. Vielleicht auch mit internationalen Tipps, wie zum Beispiel: „Was macht ein indischer Jogger, wenn ich ihm begegne und die Hand zum Gruß hebe?“ Aber zurück zur Oker und dem Gebiet, in dem wir damals vor dem Winter immer um den Ölper See gelaufen waren. Dort, wo wir uns jede Woche treffen und genießen, dass wir nicht allein sind im unseren Tun. Wenn mich mal wieder ein anderer Läufer fragt, was ich so als Ziel habe in diesem Jahr: Dann werde ich einfach höflich lächeln und ein bisschen kichern, um Zeit zu schinden. Falls ich gerade neben dem Fragenden laufe, versucheich, neben der Sauerstoff-Versorgung für meine emsig pumpenden Lungen, ein paar Moleküle Richtung Stimmbänder zu quetschen. Um dann zu sagen: „Ich laufe, um zu laufen.“
Wo ist sie hin?
Eben gerade hatte ich sie doch noch, beim Lauf in Magdeburg, als ich am Ende der 13-km-Strecke noch einen kleinen Spurt hinlegte. Doch heute war sie wie vom Erdboden verschluckt. Oder unter Eiskruste und Schneegriesel versteckt. War sie vielleicht in unserem Garten unter der dicken Schneewehe einfach dick und faul liegen geblieben? Wer? Na, meine Kondition natürlich! Ich habe sie heute sehr, sehr vermisst. Ich habe den ersten Lauf des Jahres gewagt, nachdem meine Halsschmerzen endlich verschwunden waren. Lange genug hat es ja wirklich gedauert. Aber jetzt soll es wieder losgehen.
Und nachdem ich schon fleißig auf der Matte geturnt hatte, um wenigstens meinen Rumpf in Schuss zu halten, und ein paar nette halbe Stunden auf dem kleinen Trampolin auf der Stelle gejoggt war, musste ich einfach raus. Ja, etwas frisch ist es ja noch. Länger als eine halbe Stunde wollte ich jetzt auch noch nicht riskieren, aber es ging, es lief. Etwas unbeholfen auf den Eiskrusten und Schneehäufchen sah es bestimmt aus, aber mein endlich wieder laufender Körper freute sich äußerlich und innerlich. Meine Weihnachts-CD, die noch in meinem Discman steckte, tat bestimmt das übrige. Weiße Winterlandschaft, Weihnachtsstimmung und Wonne erfüllte Waden. Doch nach den ersten Schritten schien meine innere Stimme zu meckern:“ Was soll denn das jetzt? Mann, bleib’ stehen, du merkstdoch, dass es anstrengend ist. Lass es einfach gut sein, du warst zu lange krank. Jetzt hör doch auf so zu tun, als wärst du sportlich!“ Ich hörte natürlich fast gar nicht auf diesen inneren Schweinehund und lief weiter. Und nach kürzester Zeit war er schon wieder völlig verstummt, stattdessen breitete sich eine wohlige Gänsehaut aus und ein wirklich weihnachtliches Gefühl. Denn, wenn ich laufe, ist bei mir Weihnachten. Mit oder ohne Top-Kondition, das ist mir doch ganz egal.
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