Ich lebe lieber hier und jetzt
den Stuhl. In Chucks
orangefarbener Prada-Kuriertasche bewegte sich etwas und kurz darauf lugte das
weiße Äffchen mit seinen goldenen Kulleraugen hervor. Es grinste boshaft.
Dan sah Chuck gereizt an. »Was
ist mit meiner Schwester?«
Chuck hielt ihm feixend das
Heft hin. »Sag mir nicht, dass du nichts davon wusstest.«
Die aufgeschlagene Doppelseite
trug die Überschrift »Der Busen - spielt die Größe eine Rolle?«. Dan überflog
den Artikel, in dem ganz ernsthaft besprochen wurde, inwiefern die Größe des
Busens Einfluss auf die Stellung eines Mädchens innerhalb einer Gruppe hat.
Anscheinend hatten irgendwelche Wissenschaftler herausgefunden, dass Mädchen
mit extrem kleinen oder großen Brüsten häufig in eine Außenseiterrolle
gedrängt und Mädchen mit fülliger Oberweite oft als Schlampen abgestempelt
werden, während Mädchen mit durchschnittlicher Körbchengröße um die 75 B als
allgemein beliebt gelten. Dan betrachtete das dazugehörige Foto. Jenny und fünf
weitere Mädchen in blauen Sport-BHs und engen Shorts posierten vor einem
Volleyballnetz. Die anderen sahen aus wie Models - blond, mit perfektem Zahnpastagrinsen,
flachem Bauch und zart gebräunter Haut. Das Mädchen neben Jenny hatte eindeutig
Silikonimplantate, trotzdem waren ihre Brüste kleiner als Jennys
hundertprozentige Naturprodukte. Jennys Brüste sahen anormal groß aus, fast
monströs, und platzten beinahe aus dem viel zu kleinen BH. Fast noch schlimmer
war, dass sie die Zunge herausstreckte und ihre großen braunen Augen strahlten,
als hätte sie den Spaß ihres Lebens.
»Scheiße!« Dan warf Chuck das
Heft wieder hin. Seine Hände wurden feucht und begannen zu zittern, wie immer
wenn er eine Zigarette brauchte. Es war klar, dass der Artikel dazu gedacht
war, großbusigen Mädchen Mut zu machen, denn Jenny sah zwar grotesk aus, aber
auch selbstbewusst. Trotzdem würde das keinen Typen davon abhalten, das Foto
rauszureißen, einen versauten Kommentar draufzukritzeln und es an die nächste
Klotür zu kleben.
»Hier steht, dass acht von zehn
Männern eine hübsche Frau mit Durchschnittsbusen einer Durchschnittsfrau mit
Biesentitten vorziehen«, las Chuck vor.
Danke für die Info, Unteroffizier Superarschlochl
Dan überlegte. Wahrscheinlich war Jenny so darauf
versessen gewesen, Model zu werden, dass sie überhaupt nicht darüber
nachgedacht hatte, wie das Foto aussehen würde. Dabei war erst vor kurzem im
Internet ein für sie extrem peinliches Video verbreitet worden. Die Sache war
glimpflich ausgegangen: Die Leute hatten sich ein paar Tage das Maul über sie
zerrissen, die Geschichte dann aber vergessen. Und auch Jenny hatte sie sich
nicht sonderlich zu Herzen genommen. Sie stolperte oft blindlings in
Situationen, in denen sie sich zum Gespött der Meute machte, aber irgendwie
blieb nie etwas an ihr hängen und sie nahm auch nie jemandem etwas übel.
Trotzdem fühlte sich Dan verpflichtet, sie zu warnen.
Jenny saß in der Cafeteria im
Untergeschoss der Cons- tance-Billard-Schule an einem Tisch vor der Spiegelwand
und aß ein überbackenes Käsesandwich mit Gewürzgurken. Sie legte die
Gurkenscheibchen ordentlich nebeneinander auf den Toast und versuchte sich
einzureden, es würde ihr nichts ausmachen, allein zu sitzen. Über dem Raum lag
eine merkwürdige Stille, die sie sich nicht erklären konnte, aber jedes Mal
wenn sie aufschaute, sali sie im Spiegel nur die Köpfe ihrer Mitschülerinnen,
die stumm über ihre Teller gebeugt aßen.
Also bitte - seit wann sind
Schülerinnen beim Essen stumm? In Wirklichkeit war es im Raum natürlich keineswegs
still. Die Luft summte und vibrierte förmlich, weil alle hungrig das saftigste
Gerücht des Tages durchkauten.
»Ich hab gehört, sie hat noch
nicht mal Geld dafür bekommen - sie hat es für lau gemacht«, wisperte Vicky
Reinerson.
»Aber Serena hat ihr den Job
vermittelt. Das war doch in der Diskussionsgruppe, weißt du nicht mehr?«,
zischte Mary Goldberg. »Als sie gesagt hat: >Ach Jenny, jedes
Mädchen kann ein Superinodel werden.<«
»Wenn man aussieht wie sie,
ja.« Cassie Inwirth nickte eifrig. »Aber mir tut Jenny trotzdem nicht Leid. Die
will sich doch bloß wichtig machen, das sieht doch jeder.«
»Ja, aber mit so einer
Geschichte will niemand im Mittelpunkt stehen«, entgegnete Vicky.
Die drei beobachteten
verstohlen Jennys Hinterkopf. Wie konnte sie bloß so seelenruhig dasitzen und
essen, als wäre nichts?
In Jennys Schultasche summte
leise ihr Handy. »Hey.« Sie
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