"ich lerne: gläser + tassen spülen": Briefe 1923?1956 (German Edition)
Erledigung Deiner Obliegenheiten ohne Verzug zurückzukehren und Deine Tätigkeit hier wieder aufzunehmen. Du hast Dich also baldmöglichst bei Untigen zu melden.
Mit rev. Gruß
Steff
bidi
118 Anfang November 1937; A: Svendborg, E: Prag, masch. mit hs. Zusätzen; Anlage: masch., Widmung hs. (Privatbesitz)
Liebe Helli,
ich schicke Dir, als kleines Angebinde, ein Gedicht. Abgesehen davon, daß es ein Schmuckstück meiner Arbeiten über Schauspielkunst sein wird, könnte es nützlich sein, wenn es vor der Premiere in Prag dort (mit einem Foto) irgendwo erschiene; das richtet die Aufmerksamkeit des Zuschauers ein.*
Daß Du erst gegen Weihnachten kommst, hat uns ein wenig erschreckt, aber natürlich mußt Du in Prag spielen. 1 Sieh nur zu, daß es nicht zu anstrengend wird, und rauch nicht zu viel! Das ist wirklich sehr wichtig.
Bis Du kommst, hoffe ich, die paar kleinen Stücke überDeutschland fertig zu haben. 2 Vielleicht können wir sie im Frühjahr in Paris uraufführen? Ich habe große Lust, wieder so etwas zu machen, jetzt nach Paris; am meisten von allem dazu. So kann man besser als irgend sonst die epische Spielweise weiterbilden. Ich bin sehr stolz auf Dich, wie Du siehst.
Mie kocht ganz nett und der Haushalt geht halbwegs, wenn auch ein wenig provisorisch. Die Kinder sind lustig. Steff kam heute mittag herein und sagte: »Hast du im Schlaf gesprochen? Mir war, als sagtest Du: Steff muß heute nachmittags ins Kino, weil sein Freund Kaj auch geht.« Er drückte sich natürlich etwas gewählter aus. Im übrigen wächst er und gehört jetzt schon zu den Größten in der Klasse.
Ich weiß nicht, ob ich Deine Ration verdoppeln kann. Vielleicht, wenn Du dafür nicht rauchst?
Ich küsse Dich
b
Wo ist der Schlüssel zu dem kleinen Schrank? Ich finde ihn nicht und habe vergessen, wo er liegt.
* Ich werde es an Wieland schicken. 3
[Anlage:]
DIE SCHAUSPIELERIN IM EXIL
(Helene Weigel gewidmet)
Jetzt schminkt sie sich. In der weißen Zelle
Sitzt sie gebückt auf dem ärmlichen Hocker
Mit leichten Gebärden
Trägt sie vor dem Spiegel die Schminke auf.
Sorgsam entfernt sie von ihrem Gesicht
Jegliche Besonderheit: die leiseste Empfindung
Wird es verändern. Mitunter
Läßt sie die schmächtigen und edlen Schultern
Nach vorn fallen, wie die es tun, die
Hart arbeiten. Sie trägt schon die grobe Bluse
Mit den Flicken am Ärmel. Die Bastschuhe
Stehen noch auf dem Schminktisch.
Wenn sie fertig ist
Fragt sie eifrig, ob die Trommel schon gekommen ist
Auf der der Geschützdonner gemacht wird, und ob das große Netz
Schon hängt. Dann steht sie auf, kleine Gestalt
Große Kämpferin
In die Bastschuhe zu treten und darzustellen
Den Kampf der andalusischen Fischersfrau
Gegen die Generäle.
1
Vgl. Helene Weigel an Walter Benjamin, 3. November 1937: »Ich bin am 12. November wieder in Paris, wahrscheinlich auch wieder im Hotel Messidor, werden Sie etwas Zeit haben? Am 17. soll ich höchstwahrscheinlich zurück nach Prag, um das Stück dort zu spielen. Meine Rückreise wird erst 10. Dezember sein, können wir gemeinsam fahren? Sie wissen, ich brauche Sie für den Weihnachtsbaum.« Das Vorhaben einer Aufführung in Prag läßt sich nicht verwirklichen.
2
Szenen zu Furcht und Elend des III . Reiches .
3
Das Gedicht erscheint am 14. November 1937 in der Pariser Tageszeitung und 1938 im Einzeldruck von Die Gewehre der Frau Carrar in Wieland Herzfeldes Malik-Verlag.
119 4. November 1937; A: Svendborg, E: Prag, masch. (Privatbesitz)
Liebe Helli,
eine solide Osloer Bank soll Norske Kreditbank, Oslo, sein. Die Kinder, ich glaube, ich schrieb es Dir inzwischen, sind noch bei Frau Andersen, Mie könnte ganz allein doch wohl nicht so gut mit dem Haushalt fertig werden. So kocht sie ganz nett. Und die Kinder sind gern bei Frau Andersen. Steffs Geburtstag war befriedigend. 1 Essen und Kuchen bekam er bei Frau Andersen, hier bekam er Deinen Buchumschlag, Bücher (»Brot und Wein« von Silone 2 usw.), ein Notizbuch, 5 (fünf) Kronen bar, 2 kleine Bälle usw. Dein Schokoladen-Kistchen fraß er stehenden Fußes auf, um seinem »schwachen Magen etwas aufzuhelfen«. Von einer Rolle Schokoladeplätzchen gewann ich einiges im Billard für Barbara.
Hast Du meinen Brief bekommen, in dem ich Dich bat, in Zürich im Credit Suisse festzustellen, wieviel dort noch auf dem Konto Frau Mary Fränkel liegt? Die Gedichte kann ich erst schicken, wenn sie wieder
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