Ich lieb dich, ich lieb dich nicht (German Edition)
untergeordnete Rolle. Wobei ich mich natürlich gefreut habe, meinen Eltern sagen zu können, dass ich ihnen das Geld geben kann. Natürlich habe ich ihnen nichts von Ingo, mir und Tante Ilse erzählt – ich weiß ja, was sie mit ihrem Romantiktick davon halten würden.
Jedenfalls bekommen wir die erste Hälfte des Honorars schon bei Vertragsabschluss, den Ilse sofort in trockene Tücher gebracht hat. Und Ingo ist so nett, mir seinen Anteil erst einmal zu überlassen. Was das betrifft, ist also alles bestens.
Aber das Geld ist, wie gesagt, nicht der Grund, warum ich jetzt mit Ingo in Tante Ilses Sitzungsraum hocke. Oder zumindest nicht der ausschlaggebende. Nachdem mein Herz mal wieder von einem psychopathischen, egoistischen Vollidiot in Stücke gerissen wurde, soll das hier mein letzter Versuch werden, doch noch eine glückliche Beziehung zu finden. Von mir aus auch mit Ingo. Wenn das nicht klappt, gebe ich auf. Dann kaufe ich mir drei Königspudel und werde eine alte, exzentrische Dame. Jawohl.
»Dann wollen wir mal«, sagt Tante Ilse und lässt sich auf ihren Sessel plumpsen. Mittlerweile sind ihre Haare wieder dunkel, was ihr deutlich besser steht als der Marilyn-Monroe-Look. Und auch die schlichte Hose und Bluse, die sie trägt, sind ihrem Alter wesentlich angemessener.
Ilses Praxis in der Schlüterstraße ist hell und freundlich eingerichtet, an der Wand hängt im Großdruck ein Gedicht von Erich Fried (»Es ist, was es ist«), ein bunter Läufer sorgt für eine fröhliche Atmosphäre, und auf dem kleinen Tischchen, das jeder von uns neben seinem Sessel stehen hat, dampft eine heiße Tasse Tee.
»Ihr müsst keine Angst haben, in den zehn Sitzungen, die wir vor uns haben, passiert nichts Schlimmes.«
Das hoffe ich doch! Ich werfe Ingo einen Blick zu. Ob er genau so aufgeregt ist wie ich? Es macht nicht den Eindruck, er sitzt ganz gelassen da und lächelt. Und hat sich, wie ich schon bemerkt habe, als er mich abholte, rasiert und ein frisches Hemd angezogen. Aber ich trage zur Feier des Tages auch einen Rock.
»Wie funktioniert das denn jetzt?«, will ich wissen. »Wir unterhalten uns mit dir, erzählen ein bisschen aus unserem Leben und dann, peng, sind wir plötzlich ineinander verliebt?
«Ilse lacht. »Nein, ganz so einfach funktioniert es leider nicht, sonst hätte ich ja einen leichten Job. Und es gibt auch keine Garantie, dass es überhaupt klappt, schließlich versuchen wir hier gerade, das Pferd von hinten aufzuzäumen.«
»Du klingst ja nicht sehr zuversichtlich«, meine ich.
»Abwarten. Und nicht so ungeduldig sein. So etwas braucht Zeit – die nehmen wir uns jetzt.«
»Dann lass uns anfangen«, sagt Ingo, und ich habe den Eindruck, dass seine Stimme ein kleines bisschen zittert. Ha! Er ist also doch aufgeregt.
»Was ist eigentlich Liebe?«, stellt Ilse plötzlich in den Raum.
»Wir dachten, du erklärst uns das«, antworte ich überrascht.
Wieder lacht Ilse auf. »Nein, ich möchte von euch beiden wissen, was für euch Liebe ist.«
Ingo und ich werfen uns wieder Blicke zu, dann denken wir beide nach.
»Wenn ich ununterbrochen an jemanden denke«, sage ich schließlich.
»Wenn ich mich mit ihm wohl fühle. Vertraut, geborgen«, fügt Ingo hinzu.
»Gut. Da müssen wir aber zwei Dinge trennen. Carla spricht von Verliebtheit. Du, Ingo, tatsächlich von Faktoren, die zur Liebe gehören.«
Toll! Sechs, setzen.
»Aber jemanden vermissen und an ihn denken gehört doch auch mit zur Liebe«, wende ich trotzig ein.
»Natürlich«, sagt Ilse, »aber so weit sind wir noch nicht.« Sie nimmt zwei Blatt Papier von ihrem Tischchen und gibt sie uns zusammen mit zwei Stiften. »Ich möchte, dass ihr etwas aufschreibt. Und zwar getrennt voneinander. Es geht um die verschiedenen Faktoren, aus denen sich Liebe zusammensetzt. Der erste Faktor ist Sehnsucht. Wie sehr vermisse ich den anderen, wenn er nicht da ist?« Ingo und ich schreiben eifrig mit. »Dann gibt es zweitens die Zärtlichkeit. Die Lust auf den anderen, auf Sex mit ihm.« Ich verschlucke mich und bekomme einen Hustenkrampf.
»Ganz ruhig«, meint Ingo grinsend zu mir und klopft mir mit einer Hand auf den Rücken.
»Geht schon wieder«, bringe ich keuchend hervor. Aber in meinem Kopf herrscht ein ziemliches Durcheinander. Darüber habe ich bisher ja noch gar nicht nachgedacht! Wenn aus Ingo und mir ein Paar werden sollte – dann würde das natürlich auch heißen, dass wir miteinander schliefen. Ich mustere ihn verstohlen: Klar, er
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