Ich lieb dich, ich lieb dich nicht (German Edition)
gefreut. Quasi direkt vor der Kreidelinie, die jemand über den Rasen gezogen hat, kommen Ingo und ich ins Wanken. Wir versuchen noch, mit rudernden Armen das Gleichgewicht zurückzugewinnen – doch vergeblich: Rumpelnd gehen wir zu Boden.
»Aua«, stöhne ich auf, weil Ingo direkt auf mich fällt und meine Rippen schmerzhaft knirschen.
»Sorry«, er will sich von mir runterrollen, kann sich in dem Sack aber nicht so gut bewegen. Ich versuche, ihn zu schieben und schaffe es, mich von ihm zu befreien. So liegen wir nebeneinander, in einem riesigen Jutesack, und sehen uns direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment wird mir ganz schwindelig, das muss vom Hüpfen kommen.
»Schade«, Ingo grinst mich verlegen an. »Kein Aschenbecher.« Dann schnellt sein Kopf blitzschnell hervor, und er gibt mir einen Kuss. Mitten auf den Mund. »Das war dein Trostpreis«, stellt er dann fest und beginnt sich aus dem Sack zu befreien.
Als wir wieder stehen, haben auch die letzten Paare das Ziel erreicht. Margit und Bertram haben die Vase gewonnen. Eine Tatsache, über die ich gar nicht mehr so traurig bin, als ich das Kunstwerk bei der Preisverleihung zu Gesicht bekomme.
Den restlichen Nachmittag wird weiter gefeiert, zwischendurch gibt es noch ein Fußballmatch der Schüler, Topfschlagen mit der Oberstufe und ein Mini-Theaterstück der fünften Klassen. Ich muss gestehen, dass mir der Tag einen Heidenspaß macht. Versonnen stehe ich neben Ingo, unterhalte mich mal mit dem einen, mal mit dem anderen Kollegen und genieße es, mich so zu fühlen, als sei ich Teil eines Paares. Irgendwie komisch. Ich muss es gar nicht wirklich sein, es reicht offenbar schon, nur so zu tun als ob. Ingos Arm um meine Taille gibt mir ein gutes, sicheres Gefühl.
Ich horche in mich hinein: Ist da etwa schon mehr? Passiert mit uns tatsächlich das Unglaubliche? Nein. Tut es nicht. Ich fühle mich wohl mit ihm, aber das habe ich ja immer getan. Bis auf … na ja, der Moment auf der Wiese, der war schon komisch. Vielleicht hatte es doch nicht nur etwas mit der körperlichen Anstrengung zu tun. Zwar bin ich Ingo oft schon viel näher gewesen als in dem Moment – aber bisher eben noch nie unter der Prämisse »wir sind jetzt ein Paar«. Als Ingo mich abends nach Hause fährt, geht es mir jedenfalls richtig gut. So habe ich es mir immer vorgestellt, wenn ich eines Tages nicht mehr allein bin. Wenn ich jemanden habe, mit dem ich mein Leben teilen kann und an dessen Leben ich ebenfalls teilnehme. Tja, wenn nur die Sache mit der fehlenden Verliebtheit nicht wäre – alles wäre perfekt!
»War doch schön heute, oder?«, fragt Ingo.
»Ja«, stimme ich ihm zu, »war ein lustiger Nachmittag.«
»Auch wenn wir die Vase nicht gewonnen haben.«
»Na ja, eher weil wir die Vase nicht gewonnen haben.
Was für ein scheußliches Ding! Wenn Margit das unter ›Kunst‹ versteht, dann weiß ich auch nicht.« Wir müssen beide lachen.
»Schon komisch …«, meint Ingo dann, spricht aber nicht weiter.
»Was ist komisch?«
»Ich meine, wie meine Kollegen uns sehen. Mir haben heute bestimmt drei Leute unabhängig voneinander gesagt, dass sie schon immer der Meinung waren, wir seien ein tolles Paar.«
»Hm, mir auch.«
»Sag mal«, fragt Ingo dann. »Soll ich dich eigentlich nach Hause fahren, oder willst du mit zu mir kommen?«
»Wieso?«
»Ich dachte nur so … ich meine, als meine Freundin.«
»Ich glaube, es reicht, wenn wir uns in der Öffentlichkeit als Paar geben. Für das Restliche sind wir noch nicht so weit.«
»Sicher, sicher«, erwidert Ingo. »Ich hatte auch nichts Böses im Sinn. Also, ich meine, trotz der achtzig Prozent … Ich dachte nur.« Er bricht ab.
»Ich glaube, ich will lieber nach Hause. Schätze, ich hab ein paar blaue Flecken und würde jetzt gern eine heiße Wanne nehmen und dann ab ins Bett.«
»Klar, kein Problem.« Schweigend konzentriert Ingo sich wieder auf die Straße. Doch er macht den Eindruck, als wäre er innerlich ziemlich abgelenkt, auf seiner Stirn zeigt sich eine steile Falte.
Notiz an mich selbst:
Hmmm.
»Also, wie fühlt es sich an, ein Paar zu sein?«, will Ilse wissen, als wir am Mittwochabend wieder auf unseren Sesseln Platz genommen haben.
»So weit ganz prima«, meint Ingo.
»Ungewohnt«, erkläre ich.
»Ungewohnt gut oder ungewohnt schlecht?«, hakt Ilse nach.
»Ungewohnt … anders.«
»Was habt ihr so gemacht?«
»Eigentlich alles wie immer«, antworte ich. »Spazieren gehen, Kino, kochen. Wir
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