Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
zwischen Nachkriegs-Siedlungsbauten und Genossenschaftswohnungen stand. Es war ein wirklich kleiner Raum, alles wirkte irgendwie alternativ und selbstgemacht, ein wenig schäbig zwar, aber durchdacht und liebevoll. Die Gruppe von zehn bis zwölf Kindern wurde von einem Mann geleitet, dem wir in den nächsten Jahren noch viel zu verdanken haben sollten. Die drei Jahre bei dir, Peter, waren Jahre, in denen es uns gut ging.
Simon sprach auch dort beim Probebesuch kein Wort, nahm keinen Kontakt auf, spielte nicht und zeigte keine nennenswerten Reaktionen. An kleinen Signalen merkte ich jedoch, dass er sich hier wohler fühlte. Er kletterte auf ein Sprossengerüst. Aus dieser erhöhten Position heraus betrachtete er den Raum. Und der Kindergärtner betrachtete ihn.
Peter Meyer begegnete Simon mit kreativer Neugier, Verstand und einem groÃen Herzen, das bereit war, es mit diesem Jungen zu versuchen, der da wie ein Päckchen vor seine Tür gestellt worden war. Ein Päckchen, von dem keiner wusste, was drin war. Die Diagnose hatten wir zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht.
Peter war kein normaler Kindergärtner, er konnte ein Psychologiestudium vorweisen, das ihm half, einige der Auffälligkeiten an Simon richtig einzuordnen. Es fiel ihm zum Beispiel sofort auf, dass Simon stehen blieb, wenn eine andere Bewegung â ein laufendes Kind etwa â den Radius um ihn herum kreuzte, den er als seinen Sicherheitsraum empfand. Dazu kam, dass Peter, der mit dem Kinderkiosk schon während des Studiums begonnen hatte, jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Kindern hatte, dazu ein Konzept, das auf Wärme und Klarheit setzte, was für Simon ein Segen war. Und er war bereit, auch unkonventionelle Wege zu beschreiten. Er war, um es kurz zu machen, ein Riesenglück für Simon und für uns.
Beinahe wäre es noch schiefgegangen, weil Peter Bedenken hatte, Simon gerecht werden zu können. Er würde eines von zwölf Kindern sein und über bestimmte Zeiten hinweg einfach âºmitlaufenâ¹ müssen, ohne besondere Betreuung zu bekommen. Peter hatte Angst, das könne ihm und auch uns nicht genügen. Als er damit herausrückte, sagte ich spontan: »Lieber mitlaufen bei dir, als mitlaufen anderswo.« Eine Hundertprozentbetreuung würde Simon nirgends bekommen, das wusste ich. Mir schien er hier einfach am besten aufgehoben, eine Bauchentscheidung, für die es im Nachhinein betrachtet viele gute Gründe gab. Ich sage nicht oft so offen, was ich denke, aber ich habe nie bereut, es in dieser Situation getan zu haben.
Peter machte ein verdutztes Gesicht, man sah förmlich das âºAhaâ¹-Erlebnis, dann meinte er: »Gut, dass du das sagst.«
Nun standen an der Schwelle zum Paradies nur noch die Engel mit den Schwertern, genannt Elterngemeinschaft. Der Kindergarten war die private Initiative einer Elterngruppe, die alle Entscheidungen mit Peter gemeinsam traf. Dass er bereit war, einen Problemfall zusätzlich aufzunehmen und dafür einen weiteren Kleiderhaken in die ohnehin kleine Garderobe schrauben wollte, hieà nicht, dass die Eltern auch dafür waren. Für sie bedeutete Simons Ankunft weniger Aufmerksamkeit für ihre eigenen Kinder und potentiell unkalkulierbare Probleme. Wir wurden gebeten, auf eine der Versammlungen zu kommen und unseren Fall vorzustellen. Werbung in eigener Sache.
Es war ein unglaublicher Stress. Was sollten wir anziehen, wie schauen, was über uns preisgeben? Die Menschen, die dort saÃen, zehn Ehepaare, die eine andere als die Nullachtfuffzehn-Erziehung für ihr Kind suchten, groÃteils Sozialpädagogen übrigens, kamen mir im ersten Moment fremd und bedrohlich vor. Ein Bollwerk. Später, als ich mich mit einer der Mütter angefreundet hatte, erzählte sie mir, dass sie ihren Mann gefragt habe, wie denn das Treffen mit uns gewesen wäre. Sie selbst war an jenem Abend verhindert gewesen. Sie hatte wissen wollen, wie »die Antragsteller«, diese Problemleute, also wir, gewesen seien. Ihr Mann hätte damals nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Ganz normal!«
Es scheint, als hätten wir an jenem Abend alles richtig gemacht, denn sie nahmen uns, und schlagartig liebte ich sie alle. Das sollte sich später natürlich differenzieren, aber mit den meisten kam ich gut aus, und sogar eine enge Freundschaft ist bis heute aus dieser Zeit geblieben.
Auskommen musste man auch miteinander, denn es
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