Ich liebe mich... Sabrina (German Edition)
gedankenverloren den Kandis in ihrem Tee herum.
»Das habe ich mir auch immer gewünscht, leider war uns das finanziell nicht möglich. Bernd war in der Stadtverwaltung beschäftigt. Im öffentlichen Dienst war er zwar ziemlich abgesichert, um seinen Arbeitsplatz mussten wir uns nie Sorgen machen, seine Bezüge hätten für uns drei jedoch nicht ausgereicht, deshalb bin ich nach Yvonnes Geburt, von Vollzeit auf Teilzeit umgestiegen und habe in meiner Firma weiterhin die Lohnbuchhaltung gemacht. Meine Mutter hat in den ersten Jahren morgens auf Yvonne aufgepasst. Nicht, dass mir meine Arbeit nicht gefallen hätte, aber ich hätte damals auch gerne den ganzen Tag mit meinem Kind verbracht.
Seit Bernds Tod bin ich besonders froh, dass ich die Stelle noch innehabe. So komme ich jedenfalls raus und habe etwas um die Ohren. Mittlerweile bin ich die Dienstälteste in unserer Firma; seit fünfunddreißig Jahren bin ich dort.« An mich gewandt, fuhr sie fort: »Wenn ich das richtig sehe, dann beginnt jetzt also bei dir eine neue Lebensphase, oder? Was sind deine Pläne?«
»Wieso?«, stellte ich mich ahnungslos. »Worauf willst du hinaus?«
»Das liegt doch auf der Hand. Nachdem das Nest leer ist, bist du jetzt auf der Suche nach neuen Zielen und Aufgaben.«
»Die Frage habe ich mir so noch gar nicht gestellt, offen gestanden.«, gab ich kleinlaut zu.
»Ist das der Grund, warum du hier auf Kur bist? Das ist ja schließlich eine psychosomatische Kur. Hast du etwa rätselhafte Beschwerden, denen kein organischer Befund zugrunde liegt?«
Bingo, das war ein klassischer Volltreffer! Verwundert sah ich ihr ins Gesicht. »Woher weißt du das?«
»Ich kann eins und eins zusammenzählen, das ist alles! Schließlich bin ich Buchhalterin.«
»Herr Sibelius und Frau Doktor Sellig haben da auch schon Zusammenhänge vermutet. Das ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen, aber jetzt, wo du das so deutlich aussprichst…, wer weiß?«
Im Stillen verwarf ich diesen möglichen Zusammenhang natürlich sofort, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass meine Beschwerden daher rührten, dass ich die Leere unseres Hauses nicht ertrug. Das kam mir nun doch zu lächerlich vor.
»Oder, du bist insgeheim mit deiner Ehe doch nicht so zufrieden wie du dir einredest«, kam nun wieder Angie besserwisserisch ins Spiel.
Nun wurde mir das aber zu dumm. Ich wollte mich doch hier nicht von den beiden sezieren lassen.
»Ja klar, sonst noch was? Jetzt ist aber Schluss! Ich bin hier zum Kakao trinken, nicht um mich von euch auseinander nehmen zu lassen«, beendete ich das Thema um meine Person. »Außerdem seid ihr ja auch hier, und bei euch ist doch auch alles in Ordnung.«
»Bei mir ist gar nichts in Ordnung!« Überrascht blickten wir unsere Kleine an. Das wurde ja immer interessanter! »Wieso?«, hakte ich jetzt gespannt nach. »Was fehlt dir denn?«
»Das, was ihr habt, das fehlt mir!«, brach es gequält aus ihr heraus. »Ich habe das Gefühl, in meinem Leben alles falsch gemacht zu haben. Ich habe einen Job, der mir keinen Spaß macht. Ich habe zwar einen Freund, aber wahrscheinlich ist er nur ein LAG.«
»Ein was?«
»Lebensabschnittsgefährte«, konnte mich Hannelore helfend aufklären.
»Ich lebe in einer kleinen, nicht fertig eingerichteten Zweizimmer-Wohnung, in einem miesen Viertel von Hannover. Mein Konto ist chronisch leer, und ich habe das Gefühl, das Leben rauscht an mir vorbei. In meiner Todesanzeige sehe ich schon den Nachruf: Sie führte ein durchschnittliches Leben, war selten glücklich, brachte nichts erfolgreich zu Ende und starb einen durchschnittlichen Tod . Großartig, soll ich darauf etwa stolz sein? Ihr habt es zu etwas gebracht. Auch wenn dein Bernd jetzt tot ist, so kannst du doch auf viele schöne gemeinsame Erinnerungen zurückblicken. Du hast deine Tochter, einen Schwiegersohn und einen Enkel, dazu einen Beruf, der dir Spaß macht. Ich wünschte mir auch, eine positive Zwischenbilanz ziehen und auf irgendetwas stolz sein zu können.« Sie hielt inne, ich sah eine Träne in ihrem Augenwinkel größer werden.
Betroffen ließen wir das eben Gesagte sacken und schwiegen einige Minuten. Die Bedienung enthob uns einer Antwort. »Kann ich bitte kassieren? Wir schließen!« Sie legte ihre dicke Kassiererbörse auf den Tisch und blickte fragend von einem zum anderen. Der Bann war gebrochen. Angelika
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