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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Text, meine Familie schaut zu, ungerührt; in dem Bau zur Rechten liegen Priesterseminaristen in den Fenstern, starren der Buhlschaft ins Dekollete. Und dann schlägt die Turmuhr meine Stunde. Hinter mir steht der Tod. Meine Familie sieht ihn, Stephanie deutet herauf, um ihre Mutter auf ihn aufmerksam zu machen. Ich spüre die knochige Hand am Hals, die Familie sitzt da, sieht wie ich leide, mich auflehne. Es stört sie nicht, sie denkt nicht daran mir beizuspringen, nimmt mein Schicksal als Vorstellung. Der Tod legt mir die kalte Knochenhand aufs Herz, ein Stich, und elend gehe ich zugrunde...«
    Hinter dem Bücherstapel, seinem Blick entzogen, sitzt der Doktor, sieht, wie der >Mitarbeiter< sich an den Hals greift. Rasch hebt und senkt sich der Brustkorb.
    »Moment Doktor! Ich bin noch nicht am Ende. Also zunächst einmal bin ich tot, aus. Aber dann, wie nach einer Ewigkeit, wache ich wieder auf. In der Künstlergarderobe. Ich bin ja nur in meiner Rolle gestorben! Was sagen Sie dazu?«
    Wie erwartet kommt die Gegenfrage.
    »Was sagen Sie dazu?«
    »Ja, was sage ich dazu? An sich furchtbar einfach: In meiner Rolle komme ich um, in Wirklichkeit bleibe ich am Leben. Wenn ich spiele, wird’s lebensgefährlich — solange das Stück dauert. Klingt fast wie eine Warnung. Aber, und deswegen mißtraue ich der Traumdeutung nach wie vor: Ich bin ja — Sie sagten das einmal — im Traum nicht nur der Jedermann, sondern auch der Tod, alle Darsteller, die Seminaristen, die Buhlschaft, der Dom, die Sonne, Salzburg, alles. Und jetzt erklären Sie mir bitte, was soll das? Wo ist da ein Sinn?«
    Er soll den Traum noch einmal überdenken, heißt es, er habe ihn ja geträumt, soll ihn zeichnen, oder malen.

    Nichts wird überdacht, nichts gezeichnet, nichts gemalt. Der Chef und die Sekretärin haben Pläne. Reisepläne. Nach dem Süden. Malen sich aus, wie es sein wird, unbeschwert, ohne Pflichten.
    Hilde träumte von Viareggio und hätte am liebsten gleich gepackt. Aber das Kinderheim, in dem Monika aufbewahrt werden sollte, hatte noch kein Bett frei. Also träumte sie weiter, und er griff in die Geographie ihrer Träume ein, fand Santa Margherita besser, nicht so überlaufen, kein Omnibusreiseziel, zudem kenne er ein Hotel mit Privatstrand.
    »Wir machen alles wie du willst. Komm mit ins Bad. Ich muß mir etwas rauswaschen. So sehr ich es genieße mit dir zu arbeiten: einmal dich ganz für mich zu haben... Ich kann’s kaum erwarten. Und nächstes Jahr nehmen wir Monika mit. Dann ist sie schon verständiger.«
    Das Weinglas in der Hand sitzt er auf dem frotteeüberzogenen Schließdeckel des Klosetts, sieht ihr zu, wie sie dünnes Gewebe mit Lauge netzt. Am nächsten Abend sitzt er wieder da, Hilde wäscht wieder, und er hat eine Idee.
    »Weißt du was: Fahren wir erst im September! Da ist es ruhiger. Und nicht mehr so heiß. Und für Monika ist es auch besser. Sie ist dann wieder in der Schule, hat ihre Ordnung, die Nachbarn sorgen für sie. Es wäre psychologisch falsch, sie unseretwegen ins Kinderheim abzuschieben. Sie denkt sich ihren Teil, unbewußt. Kinder soll man nicht unterschätzen! Du fährst mit ihr für vierzehn Tage an den See bei Salzburg, wo ihr schon einmal wart, dann hat sie ihre Ferien wie gewohnt, und wir brauchen uns keine Vorwürfe zu machen.«
    Zuerst ist Hilde enttäuscht. Aber er kann sie beruhigen. Es träfe sich terminlich recht günstig, er könne die Zeit nutzen, einen Belang wahrzunehmen — wie er sich ausdrückt — um den er nicht herumkommen werde. Er spreche ganz oifen mit ihr. Dieser Belang sei familiärer Natur. Er habe seine Unabhängigkeit überschätzt, es sei nicht weiter schlimm, betreffe auch eigentlich nicht ihn, nicht ihn allein, sei an sich mehr eine Formsache der Leute wegen und der Kinder, auch er wolle sich nicht nachher Vorwürfe machen müssen, alle wüßten schon davon, sie dürfe ihn keineswegs falsch verstehen, mit ihnen beiden habe das nichts zu tun.
    Hilde hatte zu waschen aufgehört, sah ihn an, wie er auf dem Deckel des Klosetts saß und sich quälte. Sie überlegte, dabei tonlos die Lippen bewegend und meldete nach Sekunden das Ergebnis ihrer Bemühungen, lapidar wie ein Computer.
    »Silberne Hochzeit. Stimmt’s?«

    An sich war er zufrieden. Hilde saß mit Monika an dem Beamtensee bei Salzburg, in Vollpension zwischen Staatsdienern und deren Gattinnen, mit festen Tischzeiten, Serviettentaschen, Mahlzeit-Mahlzeit-Wünschen und samstags Tanz. Er hatte Zeit für sich, keine

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