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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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und in seinem Urteil faszinierend. Da höre man Sachen, die einem noch keiner gesagt habe; der schildere die Zustände im Organismus, wie andere eine Zimmereinrichtung beschreiben. Dabei sei er nicht einmal teuer und wirklich exklusiv. Er lebe in Amerika.
    Seine Frau fühlte sich müde, nicht, daß sie fürchtete krank zu werden — der Arzt war das letzte Mal sehr zufrieden gewesen —, nur müde, lustlos. Ohne es zu wollen, war ihr die Adresse der Jugoslawin im Gedächtnis geblieben; ohne es zu wollen, fuhr sie nach Einkäufen in der Stadt durch ihre Straße, fand den Gedanken albern, folgte aber, da sie Zeit hatte, der Laune und erfuhr, ohne sich etwas erwartet zu haben, daß sie gesund, aber sehr sensibel sei, Veränderungen in ihrer nächsten Umgebung widerspiegle, meist in Form von Unlust. Zu einem Foto Golos meinte das Pendel, er neige dazu, sich in etwas zu verbeißen, was er längst als falsch erkannt habe, mache sich’s überhaupt nicht leicht, neige auch zu Geiz; Stephanie sei kindlicher, als es ihrem Alter entspreche, sehr intelligent und eigenwillig. Beim Vater der Zwillinge schwang das Pendel, wie dies einem dynamischen Manne gebührt; dabei sei er verletzbar, verschlossen, obwohl er Geselligkeit liebe, sehr diszipliniert und pflichtbewußt mit einem Hang zu Kontemplation, dadurch in ständiger Spannung, die mitunter zu Kurzatmigkeit und Schlafstörungen führe, sei reiner Willensmensch, gewohnt, sich nur auf seinen Verstand zu verlassen, was ihn manchmal verführe, sich zu übernehmen, und liebe seine Familie über alles.

    »Ja Doktor, lange nicht gesehen! War sehr rege in der Zwischenzeit. Auch auf unserem Gebiet. Sie sagten einmal, Tiefenpsychologie begreife man nur durch Mitarbeit. Wenn dem so ist, wäre ich jetzt sozusagen Ihr Mitarbeiter. Ich habe mich wieder in der Hand. Was lange nicht ging, schon ein Komplex zu werden drohte, jetzt geht es. Ich kann wieder frei sprechen! Vor Publikum. Ohne Beschwerden, ohne Hemmung.«
    Der neue Mitarbeiter löst die Krawatte und legt sich, seine Erfolge genauer schildernd, unaufgefordert auf das weiße Frotteetuch mit der grünen Klammer: Wer jung sein will, schont sich dort, wo er alt sein darf.
    »Ach ja, tut gut, sich zu strecken! Aber was sagen Sie dazu, Doktor? Ein Kulissenwechsel, und ich bin wieder der alte. Seit diesem merkwürdigen Clubabend geht alles wie geschmiert.«
    Wie er dorthin gekommen sei, möchte der Therapeut wissen.
    »Durch Steph... nein eigentlich durch Golo... Freunde der Kinder, durch Jugend zur Jugend, wenn Sie so wollen...«
    Gähnen hindert den Mitarbeiter weiterzusprechen, er streckt sich, während der Doktor hinter dem Bücherstapel über die Ursache des Versprechers nachsinnt, bis eine weitere unbewußte Äußerung das Bild rundet: lautes Schnarchen. Um vier ist der Mitarbeiter gekommen. Jetzt ist es vier Uhr fünfzehn.

    Herkules hatte ein Stück vom Hörnchen bekommen. Mit Marmelade. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Wohlgelaunt unterhielt der Vater die Seinen.
    »Stephanie hat heute den Araber geritten, die Cleopatra, die ich sonst immer hatte. Und ich muß sagen: wirklich schön!«
    Seine Frau nahm die Gelegenheit wahr. Sie wußte ja, wie sehr er an seiner Familie hing.
    »Leider verhält es sich mit ihrer Ausbildung weniger schön.«
    Zu seinem Erstaunen stellte sich heraus, daß seine Tochter ihre Sorgen nicht von ihm verwalten ließ. Germanistik sei kein Fach für sie, hatte sie ihrer Mutter eröffnet. Was könne sie damit werden? Alt und grau in einer muffigen Bibliothek, während draußen das Leben vorbeigehe. Ihre Gedankengänge schmerzten das Vaterherz, er sah sein Kind allein, in fremder Stadt unter blassen Büchermenschen, die nicht lachen können, und abends in einem möblierten Zimmer. Wenn seine Tochter sich auf der Universität nicht wohl fühle, solle kein Mensch sie zwingen, auch nur einen Tag länger dort zu bleiben. Der Mensch müsse das tun, was ihm bekommt. Nur das bekomme ihm. Seine Frau hielt diese Ansicht für sehr subjektiv.
    »Zwei Jahre Studium opfert man nicht einfach einer Laune! « Golo tat das Thema als Hysterie ab. Für ihn war Stephanies Studium so oder so hinausgeworfenes Geld. Zum Ja-sagen vor dem Standesbeamten sei im Grunde jede Sprache zu schade. Seine Mutter dachte weiter.
    »Und eines Tages läßt sie sich scheiden. Ich bestehe darauf, daß sie etwas lernt! Und zwar zu Ende.«
    Das sah auch der Vater ein. An Scheidung hatte er nicht gedacht, wollte auch nicht, daß Stephanie

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