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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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etwas schien mit der Klimaanlage nicht zu stimmen, ihm wurde immer wärmer. Nun war heute, trotz fortgeschrittener Jahreszeit, ein besonders heißer Tag.
    Der Chef schläft nicht, er sieht, wie Erich die Mütze abnimmt und sich über die Stirn wischt. Dabei gerät der Wagen auf die linke Straßenseite. Vor einer unübersichtlichen Kuppe. Zu allem Überfluß dreht sich Erich auch noch um, wobei er das schwere Fahrzeug nach rechts zieht, daß die Reifen quietschen. Der Chef hält sich fest, will ihn anherrschen, da geschieht etwas, daß er meint, das Herz müsse ihm stehenbleiben: Erich ist hinter der Rücklehne verschwunden. Führerlos rollt der Wagen dahin, vorbildlich rechts..., ein entgegenkommender Lieferwagen kann mühelos passieren. Eine Traumerinnerung streift das Bewußtsein, irgend etwas mit Stephanie, in der letzten Nacht. Das Lenkrad... das Lenkrad dreht sich, die Geschwindigkeit nimmt auf der ansteigenden Straße weiter ab, und ohne einen in dieser Komfortklasse sowieso undenkbaren Stoß gleiten sie an einem hübschen Aussichtspunkt wie zum Parken ins Grüne.
    Es dauert Minuten, bis sich das Herz beruhigt. Jetzt drückt der Chef seine Nase breit an der Trennscheibe. Erich liegt wie umgeklappt mit dem Kopf auf dem Beifahrersitz, den rechten Fuß auf dem Bremspedal. Und der Motor läuft noch.
    »Erich, was ist denn? Kleine Schwäche? So was gibt’s in Ihrem Alter. Das sind Fingerzeige! Das kennen wir. Ich fahre Sie jetzt nach Wolfratshausen, dort trinken Sie einen ordentlichen Mokka. Machen Sie auf, Erich! Damit ich hier herauskomme. Erich! Nun nehmen Sie sich zusammen! Andern Leuten war’s auch schon flau. Los, machen Sie diese verdammte Verriegelung auf! Erich! Erich...!«
    Hilde war es gewöhnt, daß der Chef aus dem Auto anrief. Diesmal zitterte die Hand, mit der sie den Hörer hielt. Erst als sie erfuhr, daß der Chef wohlauf sei, faßte sie sich und reagierte mit gewohnter Umsicht: Sie werde die Polizei in Wolfratshausen verständigen, mit der Bitte, jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden, ein Taxi zur Unfallstelle beordern, bei der Werksniederlassung die Handhabung der Zentralverriegelung erfragen und einen Fahrer schicken, den Wagen zu holen.
    Kurz darauf konnte er sich von ihrer Zuverlässigkeit überzeugen: eine Armada der Hilfeleistung rollte durch die liebliche Landschaft und — fuhr vorbei, so heftig er hinter der geschlossenen Scheibe auch gestikulierte. Verwirrt von der vielfältigen Automatik des Wagens, die er nie selbst bedient, oder auch nur, weil Erich die Zentralverriegelung gelobt hatte, war er in seiner Herzensangst noch nicht auf den Gedanken gekommen, den Stift an der Scheibe hochzuziehen.
    Die Beamten, in Sonderlehrgängen für Unfälle aller Art geschult, erkannten zwar im Vorbeifahren den Wagen als zu der beschriebenen Bauserie gehörig, hielten ihn jedoch, blankpoliert und unbeschädigt an einem Aussichtspunkt geparkt, nicht für das gesuchte Fahrzeug, fuhren weiter bis zum nächsten Ort und errichteten erst auf dem Rückweg eine Unfallstelle mit Blaulicht, Orangelicht, Warndreiecken, Geschwindigkeitsbegrenzung. Und nachdem sie festgestellt hatten, daß sie ihren großen Unfallwagen verkehrsgefährdend abgestellt hatten, schließlich mit Einbahnverkehr. Sanitäter brachten eine Tragbahre.
    Schwer atmend lehnt der Fahrgast am Wagenheck, tupft sich mit einem Taschentuch die Stirn ab, wird von den Sanitätern ergriffen, gestützt, soll sich auf die Tragbahre legen. Er wehrt sich, wendet Kraft auf, als seien die Sanitäter Lemuren, ihre Hände Krallen. Beamtenlogik oder Dienstvorschrift: Wer nicht liegt, wird vernommen, recht barsch sogar. Kurze Unterbrechung: Der Unfallspezialist mit medizinischer Sonderschulung meldet dem Unfallspezialisten mit straßenverkehrsrechtlicher Sonderschulung Erichs Exitus. Den Unfallüberlebenden trifft ein harter Blick. Er soll mit auf die Wache kommen. Er weigert sich, wegen begreiflicher Aufregung, was eine sofortige Belehrung auslöst. Erst nachdem er wiederholt seinen Namen genannt hat, fällt dem Unfallspezialisten ein, ihn im Fernsehen gesehen zu haben. Mit dem Herrn Ministerpräsidenten. Die Vernehmung wird ausgesetzt, der Unfallüberlebende mit sofortiger Wirkung zum Unfallgast befördert und unter höflichen Entschuldigungen zum bereitstehenden Taxi geleitet. Er verspricht seine Eindrücke in München, sobald er sich erholt habe, zu Protokoll zu geben, bedankt sich für die Sonderbehandlung, erwidert paramilitärischen Gruß mit Kopfnicken:

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