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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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der gesamte Verkehr wird gestoppt; das Taxi hat Vorfahrt.
    Ohne es zu wollen, dreht er sich noch einmal um. Leichthändig schieben die Sanitäter den toten Erich in den Krankenwagen.
    Der arme Kerl — jetzt ist er nicht mehr nach Dresden gekommen — mein Gott — wie schnell kann das gehen — ein Fingerzeig — werde ihn erster Klasse begraben lassen — der Puls jagt — sechsundvierzig in dreißig Sekunden sind zweiund — alle Symptome wieder da — ich kann jetzt nicht Babette treffen — unmöglich
    Die Floßlände war leicht zu finden. Laute Musik, gärig wie junger Most, wies ihm den Weg. Ein rhythmisierter Knäuel Jugend wurde sichtbar. Schwer, in dem Gewimmel nackter Arme und Rücken, Babette auszumachen. Manche hüpften noch am Ufer herum. Irgendwo schien es Eis zu geben. Stimmen überall. Eine ganz nah:
    »Mensch, Papi! Wie kommst du hierher? Ich hab doch gar nichts gesagt.«
    Im beanstandeten Badekostüm umarmt Stephanie ihren Vater. Die junge Haut, herrlich duftend, belebt ihn nach der Todesnähe.
    »Ach ja«, sagt er und tätschelt sein Kind. »Ich werde dir alles erklären. Später.« Stephanie schiebt ihn vorwärts zum Floß. Er läßt sich schieben.
    »Nu sag schon, Papi. Mach’s nicht so spannend.«
    »Später!« wiederholt er, zieht sie an sich, dreht sich mit ihr, um Wange an Wange nach Babette zu suchen. Da tanzt sie! Mit einem Jüngling. Oder mit mehreren. Mit allen und mit keinem. Sie sieht ihn nicht, ist zu beschäftigt mit Armen und Beinen. Tief atmet er an der jungen Schulter. Stephanie wird ungeduldig; noch weiß er nicht, was er ihr sagen soll, tätschelt sie wieder, damit sie fühle, wie sehr er sich freut, bis ihm die glaubhafteste aller Ausreden einfällt — die Wahrheit.
    Sein Blick hebt sich, während er spricht, über das Floß, sein Ausdruck wird schmerzlich, seine Ausdrucksweise offiziell. Als er zum Ende kommt, tanzt Babette immer noch.
    »Ja, Kleines, so ist das Leben: Ein ewiges Kommen und Gehn. Es war mir unmöglich, im Wagen zurückzufahren. Nur weg von der Straße, dachte ich, Ablenkung, lauf mal ans Wasser...«
    Zärtlich streichelt die Tochter ihren Vater.
    »Armer Erich! Hauptsache, daß dir nichts passiert ist. Jetzt trinkst du erst mal ein Bier. Und dann fährst du mit uns nach München. Mami wird Augen machen, wenn wir ihr das erzählen!«
    Davon ist er überzeugt. Und das hindert ihn, sein Kind zu ermahnen, den Tod Erichs nicht zum Anlaß für erhöhte Gaudi herabzuwürdigen. Er kann die Begegnung mit Babette nicht dem Zufall überlassen.
    »Sag mal, Kleines, ist das nicht diese... diese...«
    Die Tochter weiß sofort, wen er meint.
    »Die flache Nichte deiner uferlosen Elvira. Genau! Scheint Altersweitsichtigkeit zu sein, daß du sie gleich entdeckst.«
    »Ich weiß, du magst sie nicht.«
    Wider Erwarten ruft sein Kind hinüber:
    »Babsi schau mal, wen ich hier habe!«
    Babette kommt herüber, gibt ihm die Hand.
    Noch einmal sagt er seine Geschichte auf, erkundigt sich, was die Tante mache, die doch bitte recht schön zu grüßen sei. О danke, und wie es selber gehe, о danke, den Umständen entsprechend und wie sei doch gleich der Name gewesen? Ach ja richtig: Babette, Fräulein Babette.
    Stephanie hat plötzlich zwei Bierkrüge in Händen.
    »Ihr habt wohl >Knigge in der Badehose< gelesen? Aber die Ausgabe von 1900! Sag einfach Babsi.«
    Sie lachen einander an, erkennen die Gelegenheit. Ein gutes Zeichen, sich wortlos verständigen zu können! Sie trinken. »Also schön. Wenn meine Tochter meint und Sie einverstanden sind, werde ich einfach Babsi sagen.«
    »Einverstanden!« Sie zögert, als denke sie nach. »Und ich werde, wenn ich das darf, vielleicht... Onkelchen sagen.« Stephanie nimmt ihr den Krug weg.
    »Wieso Onkelchen? Mein Vater ist kein Onkelchen.«
    Babette zeigt keinerlei Verlegenheit.
    »Ich denke, du willst einen legeren Ton? Ich kenne deinen Vater durch meine Tante. Da liegt Onkel nahe. Nachdem er das aber nicht ist, schwächen wir’s ab und machen Onkelchen draus. Falls es ihm recht sein sollte. Papi kann ich ja schlecht sagen.«
    Sie lachen zusammen, behaupten diese Lösung besonders witzig zu finden, Stephanie will mit ihrem Vater tanzen, was er jedoch für unangebracht hält. Auf Pietät reagiert sie mit Logik. Man sei mit Erich nicht verwandt, und was sie beträfe, normalerweise würde sie erst in München von dem Unglücksfall erfahren. Noch während sie spricht, bemächtigt sich ihrer eine Art choreographischer Epilepsie. Zuckend

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