Ich liebe mich
die sonst verschwiegen werden. Wenn’s nach mir ginge, ich würde Psychologie als Schulfach einführen. Das gäbe unbeschwerte Menschen, die Bescheid wissen, die Verständnis haben für den Rhythmus der Natur. Und für die andern. Was haben wir uns früher entrüstet, wenn ein Mittfünfziger mit einem jungen Mädchen daherkam! Sie werden sich fragen: Wie kommt er gerade auf dieses Beispiel? Da kann ich nur antworten: Auf die natürlichste Weise. Ich weiß nicht, ob ich’s schon erzählt habe, will damit lediglich sagen, wie wichtig es ist, die Zusammenhänge zu kennen, um zu erkennen, daß es ganz einfach ein Naturgesetz ist. Und wenn ich ehrlich bin, eines der schönsten. Wie ein heißer Badetag im Herbst. Ich kann jeden Mann verstehen, der seine Frau mal betrügt. Was heißt betrügen? Das ist auch wieder so eine leichtfertige Formel! Im Grunde sind die Frauen ja selber schuld. Bei der Heirat sind sie alle reizend, appetitlich, Kameradinnen, die mithelfen, das gemeinsame Leben aufzubauen. Kaum kommen der Erfolg und die Kinder, steigen sie aus und stellen nur noch Ansprüche. Der Mann entwickelt sich weiter, wächst und wächst, die Frau bleibt stehen. Vom Ästhetischen ganz abgesehen. Und nach zwanzig Jahren wundern sich beide, daß sie kein Thema mehr haben. Früher sind die Frauen früher gestorben, Kindbett, Seuchen... Ein Mann kam im Schnitt zu seinen drei bis vier Gefährtinnen, nichts wurde überdehnt, zum Auseinanderleben reichte die Zeit einfach nicht. Das war ein gesundes Regulativ! Und heute? Die Männer — Herzinfarkt; eine Welt voller Witwen. Ich sehe Ihr ironisches Lächeln. Bei mir ist das anders. Meine Frau ist nicht stehengeblieben. Dazu hat sie zu viele Interessen. Manchmal ist sie mir fast zu gescheit, zu ironisch. Das hat man als Mann nicht so gern. Trotzdem: Es gibt überhaupt nur eine Kosmetik für die reife Frau: den Geist. Ich hab’s ja gerade erlebt. Die Dame Elvira — Sie wissen. War eine wichtige Episode in meinem Leben. Sie hat mir die Welt erschlossen, die meine Frau meinte, wenn sie mich kritisierte. Zugegeben, alles ein wenig handgestrickt, nicht auf dem gleichen Niveau. Aber mit welcher Geduld. Sie konnte mir zuhören. Stundenlang. Wie meine Mutter. Und wie sie sich dann dem Lauf der Dinge gefügt hat! Nur ein denkender Mensch besitzt die Größe, den andern gewähren zu lassen. Sie konnte mich verstehen und hat sich im richtigen Moment zurückgezogen. Ach Doktor, es ist ja so interessant, wenn man das alles sieht, bewußt sieht! Ich bin wieder jung geworden. Jung durch Jugend. Hier ist alles noch zu formen. Wenn ich ihr zum Beispiel hübsche Sachen kaufe, und sie packt alles aus, probiert an und wenn ich sie dann in den Arm nehme — dieser zarte Widerstand, dieser kindliche Blick voll Wärme und Dankbarkeit...«
Seine Vorstellung ist so stark, daß er sich auf setzt und den Ausdruck nachempfindet. Der Doktor bleibt ernst. Übergangslos kommt der Mitarbeiter auf den Urlaub zu sprechen. In den Süden soll’s gehen. Obwohl nach der ausführlichen Schilderung eigentlich kein Zweifel möglich ist, hat der Doktor eine Frage.
»Allein?«
»Wo denken Sie hin, Doktor. Mit meiner Frau natürlich. Wie jedes Jahr. Wird zwar ein paar Tränen geben auf der andern Seite, aber was sein muß, muß sein. Meine Frau freut sich sehr darauf.«
Ein Telefonanruf kommt dazwischen. Die sich angeblich Freuende ist verzweifelt und sucht Rat. Der Doktor wendet sich zur Seite, hält den Hörer fest ans Ohr, vermeidet den Namen und antwortet sparsam. Sein Mitarbeiter kann nicht verstehen, was von der anderen Seite gesprochen wird, schließt aber aus den Antworten des Doktors, daß es sich um die Frau eines Patienten handelt, die selbst zur Behandlung kommen möchte. Das lehnt der Doktor ab, verweist sie an einen Kollegen. Er behandle keine Partner, oder besser gesagt Paare.
Nachdem der Doktor aufgelegt und sich für die Störung entschuldigt hat, stellt der Mitarbeiter die Frage, die ihn schon lange beschäftigt:
»Angenommen, Doktor, meine Frau würde zu Ihnen kommen. Sie ließen sie erzählen, zum Beispiel, daß ich sehr nett zu ihr bin, ein guter Familienvater, daß aber irgend etwas Unausgesprochenes zwischen ihr und mir stehe. In diesem Falle wären wechselseitige Konsultationen doch optimal! Sie brauchten mir nur den Standpunkt von ihr anzudeuten und anschließend ihr den meinen. Dazu bei Bedarf ein Privatissimum über den Charakter des Partners aus therapeutischer Sicht. Sie könnten Wunder
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