Ich mach mir Sorgen, Mama
Geschenk, dachte ich.
Am Tag des Geburtstags wickelten wir die Dose »Gebrüder Klitschko« in Geschenkpapier und nahmen zusätzlich die große Flasche Wodka mit, für den Fall, dass mein Vater sich weigern würde, die Creme zu benutzen. Der Abend verlief relativ ruhig, mein Vater tat so, als würde er sich für Geschenke gar nicht interessieren. Irgendwann verabschiedeten wir uns. Um Mitternacht rief meine Mutter bei uns an und berichtete, mit dem Vater stimme etwas nicht. Nachdem wir gegangen waren, hatte er sofort die Packung geöffnet und sich gut die Hälfte der Dose ins Gesicht geschmiert. Zuerst juckte es höllisch und mein Vater sprang wie wild im Zimmer herum. Nach zwanzig Minuten veränderte sich seine Haut. Sie wurde plötzlich ganz rot und glatt wie ein Luftballon. Die asiatische Pflanze schien zu wirken. Man konnte weder Falten noch Spuren von Stress auf dem Gesicht meines Vaters erkennen. Auch seine Depressionen waren plötzlich weg, im Gegenteil: Er kämpfte jetzt aktiv mit dem Pflanzenwirkstoff. Ein erster Versuch, die »Gebrüder Klitschko«-Creme zuerst mit Wasser und dann mit dem Wodka abzuwaschen, schlug fehl.
»Es muss aber doch irgendein Gegenmittel geben«, meinte meine Mutter verzweifelt.
Ich versprach ihr, gleich am nächsten Morgen im Laden nachzufragen. Doch am nächsten Tag bekam mein Vater eine ganz neue Haut, und daran ließ sich nichts mehr ändern. Nach einer Familienversammlung beschlossen wir, dass der Vater jetzt doch besser aussähe.
»Ein Glück, dass man nur einmal im Jahr Geburtstag hat«, meinte meine Frau abschließend.
Rotschwänzchen am Tag der
Liebesparade
Während irgendwo in der Stadt laute Musik brummte und gefiederte Teenager mit Trillerpfeifen ihre Liebesparade veranstalteten – das heißt um den Zoo herumzogen und die Elefanten unsicher machten –, war bei uns im Prenzlauer Berg wie immer nicht viel los. Die Kulturinteressierten versammelten sich in den Schönhauser Allee Arcaden. Dort war schon vor Wochen der Schönheitswettbewerb »Miss Prenzlauer Berg 2003« angekündigt worden. Mein Sohn Sebastian und ich gingen hin, um die Prinzessinnen zu bewundern. Große, zitternde Mädchen mit kleinen, ängstlichen Augen stiegen auf das Podium. Der Moderator las mit fröhlicher Stimme ihre Biografien vor, die sich nicht sonderlich voneinander unterschieden. Christina beziehungsweise Bettina, Alter achtzehn, Beruf Schülerin, Hobbys Zeichnen und Fitness. Auf die Gewinnerin wartete eine Krone aus Pappe. Wir pfiffen und jubelten, doch die Prinzessinnen würdigten uns nicht einmal eines Blickes. Sebastian guckte nachdenklich auf Bettina-Christina-Marina und sagte: »Lass uns zum Arnimplatz spielen gehen.«
Dort, auf dem Kinderspielplatz, saß nur ein Kind, ein Zehnjähriger mit einem Schlüsselbund an einem Band um den Hals. »Ich bin Florian«, sagte er.
Kleine schwarze Vögel sprangen im Park herum. Ich hatte sie vor kurzem mithilfe des Sachbuches Was fliegt denn da? als Amseln identifiziert: schwarze Kehle, graue Brust, Länge zwanzig Zentimeter, Warnruf Pieps, pups. Alles stimmte überein. Obwohl diese Beschreibung auch auf andere Vogelarten passte, auf Rotschwänzchen zum Beispiel. Irgendetwas sagte mir aber, dass es doch Amseln waren, obwohl sich ein paar Rotschwänzchen unter sie gemischt haben konnten. Laut Was fliegt denn da? hatten die Amsel-Rotschwänzchen eine Lebenserwartung von rund zwanzig Jahren. In der freien Natur hielten sie aber nur maximal drei bis vier Jahre durch. Die Vogelwelt war nicht gemütlich, das Böse lauerte hinter jedem Busch. Ein falscher Schritt, pups, pieps, und deine Lebenserwartung war futsch.
Ganz anders war es natürlich bei uns Menschen. Ich wäre zum Beispiel hundertfünfzig Jahre alt, behauptete jedenfalls Sebastian. Sein Spiel hieß »Alter Prinz, neuer Prinz«. Die Spielregeln waren recht einfach. Ich war hundertfünfzig, er war fünf, ich sollte ihn fangen. Ich verzichtete. Mit hundertfünfzig auf dem Buckel musste ich niemanden mehr fangen!
»Spiel doch mit Florian«, sagte ich zu ihm. Florian rannte über den Spielplatz, Sebastian hinterher, die Schlüssel knallten gegen Florians Brust. Ich entspannte mich auf der Bank. Die Jugend brachte den Zwang und Drang, das Alter Dösen und Erlösung. Auch ich hatte als Kind ständig irgendwelche Schlüssel um den Hals. Von der Wohnung, vom Keller, vom Fahrrad … Ich musste ständig irgendwas abschließen, aufschließen, abschließen …
Die Jugend war nicht verschwenderisch, sie
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