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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Kater vorsichtig auf den Fußboden. Fjodor blieb für einige Sekunden stehen und ging dann mit ungewöhnlich würdigen und langsamen Schritten in Richtung Toilette. Er war offensichtlich von seinem Leiden erlöst. Wir waren stolz auf das russische Wundermittel.
    »Und die sagen hier immer Kardiogrammchen, Kardiogrammchen«, meinte meine Frau verächtlich.

Mein Vater und der Krebs
    Jede Familie ist eine kleine Religionsgemeinschaft, also muss sie auch über einen so genannten Hausaltar verfügen. Bei uns in der Familie ist meine Frau Olga für die Gestaltung des Hausaltars zuständig. Auf dem großen schwarzen Bücherregal im Schlafzimmer befinden sich derzeit sorgfältig arrangiert: eine kaputte Taschenuhr von ihrem verstorbenen Vater, ein Bild der heiligen Maria und ein ausgestopfter Hammerfisch mit vielen kleinen, aber sehr gefährlich aussehenden Zähnen, den Olga vor fünfzehn Jahren mit bloßen Händen aus dem Leningrader Fluss Fontanka herausgeholt hatte. Es war ein doppeltes Wunder: Erst einmal wusste jeder Leningrader, dass es in dem Fluss seit dem Zweiten Weltkrieg keine Fische mehr gab; und zweitens kam der Hammerfisch bereits ausgestopft vorbeigeschwommen.
    Olgas Freunde meinten, der Fisch sei wahrscheinlich von einem schlecht gelaunten Wissenschaftler aus dem Fenster des Zoologischen Museums geworfen worden und im Fluss gelandet. Doch Olga war der Meinung, alles, was ihr passiere, habe eine besondere Bedeutung. Und so kam sie zu dem Schluss, dass der präparierte Hammerfisch ihr Glück bringen solle. Seit damals sind Olga und er unzertrennlich.
    Außerdem gehört zu unserem Hausaltar noch ein kleiner Buddha aus Holz mit abgebrochener Nase und einer alten Perlenkette. Die Hauptreliquie der Familie ist aber unser Hochzeitsfoto, auf dem wir uns küssen: ich noch mit langen Haaren und einem Schnurrbart, Olga im gestreiften Matrosenhemd und einer Baskenmütze auf dem Kopf.
    Früher wollte ich mich auch einmal aktiv an der Ausgestaltung unseres Hausaltars beteiligen. Das war, als ich mir die Haare abschnitt und sie in einer Plastiktüte aufs Regal legte. Diese Reliquie hat sich aber in unserem Hausaltar nicht eingelebt. Die Tüte wurde schnell von der Katze gefunden und in kleine Stücke zerfetzt; den Inhalt verteilte sie gnadenlos in der ganzen Wohnung. Noch Monate später fanden wir in irgendwelchen Ecken Haare von mir. Olga meinte aber, die Tüte hätte sowieso blöd ausgesehen und nicht zum Gesamtbild des Hausaltars gepasst.
    Ich fand eher den Hammerfisch unpassend. Er erinnerte mich ständig an meinen Vater und seinen Flusskrebs. Meine Eltern hatten nämlich auf ihren Bücherregalen ebenfalls viel Platz gelassen, um dort ihre Reliquien zu platzieren. Dazu gehörte unter anderem ein großes Schwarzweißfoto von Hemingway. Er sah gut gelaunt aus, trug einen dicken Pullover und lächelte in seinen grauen Bart. Wenn mich meine Schulkameraden zu Hause besuchten, zeigten sie auf das Foto und fragten, ob das mein Opa sei.
    »Ja, aber er ist schon lange tot«, sagte ich jedes Mal und erzählte ihnen daraufhin, dass er ein berühmter Wissenschaftler und Seemann gewesen war.
    Mein richtiger Opa war zu diesem Zeitpunkt noch quicklebendig und pensionierter Buchhalter. Er hatte jedoch nichts Heldisches an sich. Deswegen ernannte ich leichten Herzens Hemingway zu meinem Großvater. In meinen Geschichten, die ich meinen Mitschülern erzählte, kämpfte der Polarforscher Hemingway allein gegen eine Horde hungriger Eisbären und musste dauernd auf irgendwelchen Eisschollen überwintern. Am Ende starb er immer eines grausamen Todes, aber jedes Mal eines anderen. Die enge Verwandtschaft mit Hemingway hinderte mich daran, jemals seine Bücher anzufassen. Ich wollte mir das Bild von meinem Opa, das bereits in meinem Kopf existierte, nicht unnötig verkomplizieren. Meine Eltern aber haben bestimmt fast alles von ihm gelesen.
    Zu seinem vierzigsten Geburtstag bekam mein Vater von seinen Arbeitskollegen eine Spinnangel geschenkt. Er fuhr am Wochenende oft mit ihnen zum Moskauer See, brachte aber nie einen Fisch nach Hause, wenn er abends leicht betrunken und froh gestimmt zurückkam. Meine Mutter und ich wunderten uns deswegen kein bisschen. Alle Welt wusste, dass der Moskauer See außer Müll schon lange nichts mehr hergab. Umso größer war unsere Überraschung, als mein Vater eines Tages einen Flusskrebs anschleppte. Wie besessen erzählte er immer wieder, wie er den Krebs gefangen hatte. Das Tier war rückwärts aus dem

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