Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
doch keine Medizin auf der Welt, die uns ein für alle Mal von allen unseren Leiden erlösen wird«, schreiben sie.
    »Spinner! Klugscheißer!«, regen sich die Leser auf.
    »Haben bestimmt etwas vor uns verheimlicht, werden selbst alle hundert Jahre alt, und wir müssen sterben!«
    Dann aber kommt ein neues Wundermittel auf den Markt, und alles fängt wieder von vorne an. Einige Wundermittel schicken unsere Freunde und Verwandte zu uns ins weit entfernte Ausland, weil sie sich Sorgen um unsere Gesundheit machen. Sie wissen, dass es im Westen keine Wundermittel gibt, nur Lutschbonbons gegen Husten, Grippostad und Paracetamol.
    Neulich bekamen wir aus Russland »Applikator Lapko« – eine revolutionäre Erfindung von einem genialen Reflextherapeuten aus der Bergarbeiterstadt Donezk. Laut Gebrauchsanweisung kann Applikator Lapko Wunder bewirken. Die Übergewichtigen verlieren ihr Gewicht, die Magersüchtigen werden dick. Außerdem hilft es gegen Hämorriden, gegen Erkältung, Stress, Kopf- und Rückenschmerzen.
    »Die einzige medizinische Erfindung aus Russland, die sich bereits auf der ganzen Welt – in Amerika, Australien und Europa – großer Beliebtheit erfreut: dein treuer Freund, der Applikator Lapko«, stand auf der Verpackung.
    Wir haben dieses Gerät mit großem Misstrauen ausgepackt. Wir leben schon lange in Europa, hatten aber bisher noch nie etwas davon gehört. Es lag eine Woche lang auf dem Tisch in meinem Arbeitszimmer, und jeder Gast, der zufällig hereinkam, erschrak sich. Da musste man ihm natürlich erklären, was der Applikator Lapko eigentlich ist: Ein mittelgroßes Brett, das mit ungefähr dreitausend scharfen Nadeln gespickt ist. Die Nadeln bestehen aus sieben verschiedenen, harten Metallen, von Zink bis Stahl, die unser Organismus nach Überzeugung des Erfinders unbedingt braucht. Je nachdem, was man für Beschwerden hat, muss man sich auf das Brett legen oder sich darauf setzen. Gegen Kopfschmerzen wird ein Kopfstand auf dem Brett empfohlen, gegen Stress ein Sprung.
    Na ja, dachten wir, dieser Erfinder, Herr Lapko, ist bestimmt ein lustiger Zeitgenosse, er muss höllisch gelacht haben bei der Vorstellung, wie die ganze kranke Bevölkerung auf seine Nadeln springt. Aber ob Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen, keiner von uns wollte dieses Wundermittel ausprobieren.
    Unser Kater Fjodor Dostojewski wagte schließlich einen Anfang. Fjodor litt schon seit Ewigkeiten unter psychischen Störungen und konnte sich keine Sekunde an einer Stelle aufhalten. Tag und Nacht sprang er wie eine Bestie durch die Wohnung und miaute. Wir waren mit ihm deswegen sogar schon beim Tierarzt gewesen, der zu uns das Übliche sagte: Die Ursache für Fjodors Verhalten sei Stress, weil die armen Wohnungskätzchen alles in sich hineinfräßen. Aber das mache nichts, wir würden einfach ein Kardiogrammchen machen, ihm eine Blutprobe abnehmen, und dann würden wir mal sehen.
    Wir versuchten, dem Arzt sachlich zu erklären, dass unsere Katze vom unruhigen Geist des verrückten Schriftstellers Fjodor Dostojewski heimgesucht wurde und kein Kardiogrammchen, sondern einen Exorzismus brauchte. Aber der Arzt wollte nicht auf uns hören. »Kardiogrammchen, Kardiogrammchen«, sagte er nur. Wir verzichteten. Also sprang Fjodor weiterhin wie verrückt durch die Wohnung. Bis er einmal, eher aus Versehen, auf dem Applikator Lapko landete und erstarrte.
    Wir saßen in der Küche und bemerkten zunächst nichts. Aber nach einer Weile wunderten wir uns, dass es so ungewöhnlich still in der Wohnung war. Auch die Kinder horchten erstaunt auf. Das übliche Gerenne und Gemaule von Dostojewski war nicht mehr zu hören.
    »Fjodor, Kleiner, wo bist du?«, rief meine Frau. Die Antwort war Stille. Wir gingen durch die Wohnung und fanden ihn im Arbeitszimmer. Wahrscheinlich wollte er vom Monitor auf den Tisch springen. Nun stand Fjodor auf dem Applikator Lapko, ungewöhnlich aufgerichtet wie ein Adler. Fjodors Fell war gesträubt und stand senkrecht nach oben, in seinen großen Augen funkelten bunte Sternchen. Man konnte fast sehen, wie die gesunden Säfte aus dem Applikator in unseren Kater strömten. Alles an seiner Haltung deutete darauf hin, dass er voll auf dem Gesundheitstrip war. Wir wussten nicht, wie lange er schon auf dem Gerät stand – die Broschüre empfahl maximal fünfzehn Minuten. Vielleicht waren es bei Fjodor nur zehn gewesen, aber die Wirkung war nicht zu übersehen. Der Applikator hatte ihn vom Stress befreit.
    Wir stellten den

Weitere Kostenlose Bücher