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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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beschwerten.
    »Wer denn?«, fragten wir misstrauisch. »Vielleicht der Fernseher?«
    Der Gestank kam hundertprozentig von dem Krebs. Eines Tages warf ihn meine Mutter einfach auf den Müll. Großvater Hemingway und die Spinnangel aus Plastik blieben; sie wanderten sogar später mit uns nach Deutschland aus.

Immer lebe die Sonne
    Seit meine Eltern umgezogen sind, haben sie eine merkwürdige Sehnsucht entwickelt. Sie erinnern sich oft und gerne an den verrückten Nachbarn aus ihrem alten Haus. Obwohl dieser ihnen ständig auf den Geist gegangen war und manchmal sogar recht gefährliche Sachen angestellt hatte. Anfangs hatte er meinen Eltern quasi-offizielle Briefe geschrieben: »Ich weiß, dass Sie nachts russisches Radio hören, ich höre alles mit! Pustj vsegda budet solnze! «Der verrückte Nachbar hielt meine Eltern wahrscheinlich für Bolschewisten, die auf ein geheimes Radiosignal warteten, um mit ihren von langer Hand geplanten Terroraktivitäten loszulegen. Warum sollten diese Menschen auch sonst russisches Radio hören, wenn nicht wegen des Codeworts. »Hier spricht das russische Radio: › Pustj vsegda budet solnze! ‹« , und dann fliegt der halbe Bezirk in die Luft – so stellte er sich das wahrscheinlich vor.
    Meine Eltern reagierten gelassen. Einmal sahen sie, wie der Nachbar ihren gerade weggeworfenen Müll wieder aus der Tonne fischte und zu sich nach Hause schleppte, um ihn in Ruhe zu untersuchen.
    »Er ist ein verrückter armer Mann, der nichts zu tun hat«, meinte meine Mutter mitleidig.
    Dann rief aber eines Tages der verrückte arme Mann bei der Polizei an und behauptete, meine Eltern seien Kannibalen. Jedes Wochenende würden sie kleine Kinder in ihre Wohnung locken, und zwar jede Woche neue. Kein Kind hätte die Wohnung aber jemals wieder verlassen, behauptete der Nachbar. Zwei Polizisten klingelten daraufhin bei meinen Eltern. Als Erstes stießen sie auf meinen Vater, der nicht besonders gut Deutsch kann. Mein Vater rief mich an und erzählte verblüfft, seit fünfzehn Minuten habe er zwei bewaffnete Polizisten in der Wohnung, die merkwürdige Gesten machten und auf den Kühlschrank zeigten.
    »Ich verstehe nicht, was sie von mir wollen«, sagte er. Zum Glück kam in diesem Moment meine Mutter nach Hause und klärte die Polizisten auf.
    »Das sind immer dieselben Kinder«, erklärte sie.
    »Nämlich meine Enkelkinder, die uns besuchen kommen. Sie glauben doch diesem Verrückten nicht im Ernst.«
    »Natürlich nicht«, sagten die Polizisten. »Dafür kennen wir den Mann schon zu lange. Dürfen wir uns trotzdem mal kurz bei Ihnen in der Küche umschauen?«
    Sie blickten misstrauisch auf den großen Kühlschrank in der Ecke.
    »Wollen Sie etwa nachschauen, ob da Kinder drin sind?«, lachte meine Mutter sie aus.
    Die Polizisten verteidigten sich, es sei ihre Pflicht, alle Hinweise sorgfältig zu prüfen, auch die von verrückten Nachbarn. Denn es habe in der Vergangenheit schon oft solche Fälle gegeben, wo schlimme Verbrechen gerade mithilfe von total durchgeknallten Nachbarn aufgeklärt worden seien.
    »Das sind in der Regel empfindliche, sensible Menschen, die mehr als die anderen merken«, erklärten die Polizisten meiner Mutter. »Aber wir werden ihm sagen, dass Sie in Ordnung sind.«
    Abends stand der verrückte Nachbar auf dem Balkon, mit einem Bier in der einen Hand und einem kleinen Radiogerät in der anderen.
    »Ich möchte, dass Sie es einfach wissen! Ich höre mit!« Er schüttelte bedeutungsvoll sein Radio. »Ich höre alles mit! Pustj vsegda budet solnze, alles klar?«
    Und dann schrieb er meinen Eltern auch wieder Briefe. Einen veröffentlichte ich sogar in einer Zeitung – unter der Rubrik »Deutsche Fundstücke«. So ging das fast drei Jahre lang.
    Die neuen Nachbarn in der neuen Wohnung meiner Eltern sind freundlich und zurückhaltend, sie sind wahrscheinlich berufstätig und haben keine Lust auf russisches Radio. Nur der kleine Hund in der gegenüberliegenden Wohnung ist sehr empfindlich. Er fängt sofort laut an zu bellen, wenn meine Eltern nachts auf ein Radiosignal warten oder Kinder essen. Trotzdem langweilen sie sich ein wenig. Denn was ist schon ein nervöser Hund gegen einen richtig verrückten Nachbarn?

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    Ich darf nicht mehr über meine Tante schreiben. Schade eigentlich. Sonst haben wir uns immer so gut verstanden. Doch wenn es um irgendwelche Geschichten geht, wirkt sie neuerdings hart wie Granit und verbietet mir ausdrücklich, ihre

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