Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
dass er keinen meiner Gedanken gehört hat.
»Warum bist du so sicher, was sein Weg sein sollte?«
»Das bin ich ja gar nicht. Ich glaube, er hat seine Möglichkeiten, aber er will stattdessen mit der Masse treiben und irgendeinen durchschnittlichen Job annehmen.«
»Hast du ihn denn je gefragt, warum er Wirtschaft studieren will?«, frage ich und merke, dass ich jetzt die Beweggründe meines Exfreundes verteidige.
Er zögert kurz, das bedeutet nein.
»Es geht ja nicht nur um das Studienfach, sondern auch darum, dass er weggehen wollte.«
»Ja, aber er ist mit einem klaren Ziel gegangen, und selbst wenn wir glauben, dass er eine Dummheit begeht und wir seine Entscheidung nicht teilen, müssen wir ihn nach den Gründen fragen.«
»Hast du ihn denn gefragt, warum er Wirtschaft studieren will?«, möchte Lucas Vater jetzt wissen.
»Nein …«, gebe ich zu, während ich an die Althippiefrau aus San Francisco denken muss, die über die wundervolle Frage begeistert war und mir gesagt hat, ich solle mich damit befassen. Auch diese Frage ist es wert, dass man sich mit ihr befasst. Schade nur, dass Luca und ich uns getrennt haben.
»Luca und ich sind nicht mehr zusammen«, sage ich plötzlich, denn auf einmal wird mir klar, wie absurd die Situation ist.
»Oh, verdammt …«
»Genau, und das macht unser Gespräch noch sinnloser. Ich weiß nicht, warum Luca diese Entscheidung getroffen hat. Eines weiß ich allerdings genau, dass er vor dir flieht. Aber leider geht mich das nichts mehr an.«
61 Luca
»Die Katze erzählt mir eine ganze Menge«, erklärt mir die alte Frau, nachdem sich mein Gesicht wohl in ein einziges Fragezeichen verwandelt hat.
»Diese Katze kann sprechen?«, frage ich sie und versuche, nicht zu zeigen, was ich denke.
Sie antwortet mir nicht, sondern lächelt nur. Dann kommt sie um die Theke herum, nimmt meine Hand und führt mich zu einer Sitzgruppe in einer Ecke, die aus zwei kleinen Sofas und einem Beistelltisch besteht. An den Wänden hängen einige Poster. Ich sehe auf einem das Peace-Zeichen, auf einem anderen eine Kanone, aus der Blumen kommen.
Die alte Frau bedeutet mir, Platz zu nehmen. Ich folge ihr und setze mich neben sie. Wir schweigen ein wenig vor uns hin, bis die Katze kommt. Meine Katze.
»Was machst du denn hier?«, frage ich verblüfft.
Die alte Frau sieht mich an und nickt, während das Tier auf das Sofa springt und sich zwischen uns legt.
»Das ist meine Katze«, sage ich, während ich allmählich immer mehr den Eindruck habe, dass hier jemand ein merkwürdiges Spiel mit mir treibt.
Ein Mädchen mit Dreadlocks, die von einem gelben Band zusammengehalten werden, kommt zu unserem Tisch und stellt eine Teekanne und zwei Tassen vor uns hin. Die alte Frau dankt ihr und schenkt uns ein, offenbar ist es Tee.
Nach dem ersten Schluck nimmt sie das Gespräch auf.
»Hast du eine Frage?«, wendet sie sich immer noch lächelnd an mich.
»Ich? Nein.«
Die alte Frau nickt, als ob sie meine Antwort vorhergesehen hätte, und streichelt kurz die Katze, die wie jede ihrer Artgenossinnen nur zufrieden den Kopf hebt und schnurrt.
»Schau dich um«, sagt sie zu mir und breitet theatralisch die Arme aus. »Siehst du etwas?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sag mir, was du um dich herum siehst.«
»Menschen«, beginne ich zögernd, doch ihr Lächeln ermutigt mich, unverzüglich fortzufahren. »Tische, Stühle, die Straße draußen und die Obdachlosen … richtig?«
»Richtig, richtig. Das ist, was du siehst, aber das ist nicht alles. Es gibt auch noch das, was dazwischen verläuft …«
Ich weiß nicht so recht, ob ich verstehe, was die Frau meint. Deshalb nicke ich bloß.
»Diese Menschen sind durch Beziehungen miteinander verbunden, viele haben einander mal geliebt, andere kennen sich kaum, manche sind sich, vielleicht ohne es zu merken, irgendwo in Athen schon mal über den Weg gelaufen. Selbst die Möbel haben eine Geschichte, die uns oft mehr betrifft, als wir glauben. Diese Menschen, die du draußen auf der Straße siehst, erzählen mehr über dich, als das, was in deinem Kopf steckt, hier drinnen …«
Die Frau verstummt kurz und beschreibt mit der Hand einen Kreis in der Luft.
»… hier dazwischen verläuft das Leben, wie ein Fluss. Unser Leben ist ein Fluss. Es entsteht hoch oben in den Bergen, anfangs ist es nicht mehr als ein eiskalter Bach, Wasser, das unter der Erde oder zwischen Kieseln verläuft. Dann schwillt er an, bricht sich in einem kleinen Wasserfall und
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