Ich mag dich wie du bist
du meidest mich ja auch wie die Pest, richtig?«
Ja, irgendetwas an ihm ist definitiv merkwürdig. Und diese übermäßige Offenheit ist der klare Beweis dafür.
»Aber nein, so ist das nicht. Ich war nur selten auf dem Campingplatz.«
»Ja, sicher. Wie auch immer. Ich habe etwas Geld gespart, das sollte reichen.«
»Na, dann viel Glück.«
»Ich habe begriffen, dass ich so nicht weitermachen kann. Es muss sich etwas ändern.«
Oh Himmel, jetzt kommt gleich das Große-Geständnis-des-Animateurs. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte ich das »wie die Pest gemieden«, um bei seinen Worten zu bleiben, aber schließlich muss ich irgendwie die Zeit bis zum Abendessen rumkriegen, und ich möchte auch nicht allzu zickig wirken.
»Komm, lass uns auf deine Abreise trinken.«
Die Worte kommen einfach so aus meinem Mund und ich weiß nicht, wen von uns beiden das mehr überrascht. Auf jeden Fall nimmt Gianmaria meine Einladung an und setzt sich zu mir.
»Man kann in Frankreich loslaufen oder von Nordspanien und dann wandert man bis nach Santiago de Compostela. Den ganzen Weg entlang gibt es kleine Pensionen für die Pilger, manchmal sind das nur Schlafsäle. Man zahlt so gut wie nichts. Ganz viele Leute machen diese Reise.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so fromm bist.«
»Das bin ich auch nicht, man muss dafür nicht unbedingt gläubig sein. Also, ich glaube schon auch an Gott, aber das ist nicht der Punkt. Man muss sich einfach auf den Weg machen, der Rest kommt von ganz allein.«
»Der Rest … der Glaube?«
»Nein – oder vielleicht doch. Was geschehen muss, geschieht. Alice, ich brauchte einen Plan, einen Weg, dem ich folgen kann, irgendetwas. Und ich habe ihn gefunden. Momentan ist es der Jakobsweg. Irgendwo muss man ja anfangen, oder?«
In dem Menschen, der vor mir sitzt, erkenne ich nichts mehr von dem Typen, der mir noch vor Kurzem vorgeschlagen hat, mit ihm zusammen schmutzige Filmchen zu drehen. Nicht einmal von dem, der beim Anblick eines Frettchens wie ein kleines Mädchen herumschreit. Vor mir sitzt ein entschlossener ernster Mann, der bereit ist, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und herauszufinden, was es für ihn bereithält. Das ist nicht Gianmaria, der Animateur.
»Und was wirst du danach machen?«
»Hmm, das kommt ganz drauf an. Ich habe überlegt, mir auf den Kapverden einen Job zu suchen, na ja, irgendwo, wo die Feriensaison ein wenig länger dauert. Etwas Erfahrung als Animateur habe ich ja. Ansonsten kann ich immer noch kellnern.«
»Und nach Hause möchtest du nicht?«
»Warum sollte ich? Da ist doch nichts los.«
Ich muss lächeln. Eigentlich sogar lachen. Weil ich gerade darüber nachgedacht habe, dass ich mich in einen solchen Mann durchaus verlieben könnte.
»Was ist los?«
»Du hast dich verändert. Du bringst mich zum Lachen. Letztes Jahr warst du noch nicht so.«
»Dieses Jahr auch nicht.«
Fünfundsiebzig
»Ali!«
Mein Bruder läuft mir entgegen.
Ich habe mich gerade von Gianmaria verabschiedet und mein Kopf ist immer noch damit beschäftigt, meine Gedanken über ihn auf die Reihe zu kriegen. Aufbrechen, etwas verändern. Wenn sogar jemand wie er beschließen kann, seinem Leben eine Wende zu geben, hat vielleicht jeder eine Chance.
»Ali, der Rasta ist da. Er wollte dich besuchen.«
»Wer, Daniele?«
»Er sitzt vor dem Wohnwagen und unterhält sich mit Papa.«
»Und worüber unterhalten sie sich?«
»Ach, über gar nichts! Er ist einfach gekommen und hat nach dir gefragt. Papa hat ihn zum Abendessen eingeladen.«
»Was ist mit Mama?«
»Die hat mir gesagt, dass ich dich suchen soll.«
Als ich den Wohnwagen erreiche, sitzt Daniele am Tisch neben meinem Vater. Beide haben ein Glas Wein in der Hand und plaudern gelassen wie zwei alte Freunde.
Wir haben uns jetzt seit vier Tagen nicht mehr gesehen.
»Was war denn?«
»Wieso?«
»Du hast dich nicht mehr blicken lassen.«
Das Abendessen ist ruhig verlaufen, eine kleine Komödie, bei der sich jeder von seiner besten Seite gezeigt hat. Meine Mutter hat versucht, ihre Wut auf mich beiseitezuschieben, um ein wenig Konversation zu machen, und ich glaube, dass sie Daniele im Grunde ihres Herzens mag. Mein Vater hat sich nett unterhalten und ich könnte fast schwören, dass er happy war, sich mit jemandem angefreundet zu haben, der der Freund seiner Tochter sein könnte, besonders jetzt, wo sein männlicher Nachkomme die erste Abfuhr seines Lebens bekommen hat. Nur Fede hat den Mund nicht aufgemacht. Er
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