Ich mag dich wie du bist
Platz in der ersten Reihe, und dies könnte genauso gut eine Folge einer Daily Soap aus dem Vorabendprogramm sein.
»Guten Abend, wie geht es Ihnen?«, fragt der Kerl in den besten Jahren mit dem graumelierten Haupthaar den Rotschopf.
»Ach komm, duzen wir uns doch. Trinkst du einen Limoncello? Der Abend ist ja noch lang.«
Ich glaube ja eigentlich nicht, dass sie ihn anmacht, aber da meine Mutter mit unserem Wohnwagennachbarn tanzt, bin ich nicht sicher, ob es wirklich so harmlos ist.
»Ja, ja, das stimmt, wir könnten eigentlich was trinken.«
Erst jetzt lässt mein Vater die Videokamera sinken. Die beiden sehen sich einen Augenblick an, als ob sie sich noch einmal begrüßen wollten. Dann wenden sie sich der Tanzfläche zu.
Der Typ, der nicht mein Vater ist, hat jetzt einen Arm um die Taille meiner Mutter gelegt. Sie kichert amüsiert und wirft ab und zu den Kopf zurück, als tanzte sie eine Tarantella, eben wie von der Tarantel gestochen. Der DJ muss ein Mann mittleren Alters sein, der vor nichts zurückschreckt: Er wechselt ständig vom Gesellschaftstanz zur Tarantella, von Oldies zu den neuesten Hits und ab und zu schiebt er nach dem Zufallsprinzip einen langsamen Song ein. Die Tänzer passen sich den Rhythmen an oder auch nicht, in einigen Fällen ignorieren sie sie einfach völlig und hüpfen nur so herum, wackeln mit den Hüften und strecken abwechselnd die Arme in die Höhe.
»Aber ich muss meine Frau aufnehmen, wenn Gianna Gianna kommt, darum hat sie mich gebeten.«
»Und was willst du machen? Etwa den ganzen Abend hier dumm rumstehen? Ach was, wenn das kommt, rennst du schnell hierher und filmst sie. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht weiß, wie lange die beiden durchhalten werden, mein Mann sieht schon so aus, als könnte er nicht mehr.«
Durch die letzte Bemerkung erschließt sich mir die Konstellation: Eine Frau tanzt mit dem Mann aus dem Wohnwagen nebenan und ihr Gatte und die Gemahlin des Nachbarn, die aus irgendeinem Grund auch nicht tanzt, beschließen, einen Limoncello zu trinken. Aber der Gatte hat versprochen, den Tanzwettbewerb zu filmen und vor allem ein bestimmtes Lied. Eine verzwickte Situation.
Während die Szene unaufhaltsam auf ihren dramatischen Höhepunkt zusteuert – in dem Moment setzt normalerweise leise Hintergrundmusik ein –, sehe ich, wie der Mann die Videokamera an seine Tochter weiterreicht und sie schwören lässt, dass sie ihre Mutter filmt, wenn ein bestimmter Titel gespielt wird.
Ich bekomme nicht mal mit, dass ich gerade selbst in der Folge der Daily Soap gelandet bin. Plötzlich finde ich mich auf einer Bank am Strand wieder, eine Videokamera in der Hand, während meine Eltern mit den Wohnwagennachbarn trinken und tanzen.
Ich fange an, die Paare aufzunehmen, Kinder, die Fangen spielen, Leute, die an der Bar Schlange stehen und meinen Vater mit der Frau, die an ihrem Limoncello nippt und dabei nett lächelnd plaudert. Dann richte ich das Objektiv wieder auf die Tanzfläche und nehme meine Mutter ins Visier. Ich zoome auf ihr Gesicht und verfolge sie. Sie lacht, ist glücklich, auf ihrer Stirn stehen Schweißtropfen und an ihren Ohrläppchen wippen die Ohrringe. Sie wirkt wie eine glückliche Zigeunerin. Der Typ, der nicht mein Vater ist, kommt plötzlich ins Bild, sein Gesicht gleitet hinter das meiner Mutter und dann sofort wieder an seinen Platz außerhalb des Bildausschnitts. In mir läuft inzwischen ein anderer Film ab: meine Mutter, die auf einmal mit einem anderen Mann ausgeht, der im Übrigen das absolute Ebenbild ihres Gatten ist, und mein Vater, der sich mit einer anderen Frau trifft, die etwas mehr Busen hat als meine Mutter und dafür kleiner ist.
Da kommt Gianna Gianna .
Ich senke die Videokamera kurz und sehe meinen Vater an.
Er macht mir ein Zeichen, ich soll filmen.
Während der Song läuft, denke ich an nichts und konzentriere mich nur auf meine Aufgabe, dabei erlaube ich mir einige Nahaufnahmen dieses neuen Paares (in der Absicht, sie mir nachts in aller Ruhe anzusehen).
Als der Song zu Ende geht, flüstert mir eine Stimme ins Ohr: »Wir beide könnten doch auch mal ein paar hübsche Filmchen drehen, du und ich …«
Als ich mich umdrehe, sehe ich das verdammte Gesicht des Animateurs vor mir, der mir grinsend zuzwinkert und offensichtlich auf eine Antwort wartet.
Mein Überlebensinstinkt treibt mich zu einer Reaktion.
Ich stecke mir zwei Finger in den Hals, um seinen Vorschlag zu kommentieren.
»Also …«
Ohne die
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