Ich mag dich wie du bist
»uns« für Daniele und jemand anderen, der mit ihm auf dem Campingplatz wohnt, gilt. Und ich vermute auch, dass Martina ihm nicht sagen wollte, dass sie bei mir übernachtet. Offensichtlich lassen sich Masken nicht so leicht zerstören.
Zweiundvierzig
Martina kommt erst um elf auf den Campingplatz, so wie ich es ihr gesagt hatte. Um diese Zeit schläft meine Familie meist. Ich habe keine Lust, dass sie sich begegnen, nicht in dieser Situation. Und ich habe mich mit ihr vor dem Tor des Campingplatzes verabredet, da zu dieser späten Stunde keine Gäste mehr zugelassen sind. Wir schlüpfen gemeinsam durch ein Loch im Zaun, nicht weit von unserem Wohnwagen. Wir haben fast Vollmond und so kann ich sie genau sehen, obwohl diese Ecke des Platzes nicht beleuchtet ist. Sie trägt eine Jeans, die ihr etwas zu weit ist, und ein Sweatshirt, das ebenfalls ein wenig schlottert. So wirkt sie wie ein kleines Mädchen, das die Sachen seines Vaters trägt.
»Daniele hat sie mir geliehen«, sagt sie und deutet auf Jeans und Sweatshirt.
Und das erstaunt mich, ehrlich gesagt, denn Daniele ist nun wirklich nicht sehr muskulös und breitschultrig. Ich hätte sogar gedacht, dass er schmaler ist als sie.
»Warst du nicht zu Hause?«, frage ich.
»Nein, nein, das konnte ich einfach nicht, meine Mutter hat mich angerufen, aber ich bin nicht rangegangen.«
»Aber was wirst du jetzt machen? Ich meine morgen und später …«
»Jetzt bleibe ich erst mal zwei oder drei Tage weg, dann geh ich nach Hause zurück, und meine Mutter wird so tun, als ob nichts passiert wäre, und bis zur nächsten Szene wird keiner ein Wort darüber verlieren. Das ist ganz normal, so läuft das zwischen uns. Ich müsste es machen wie mein Vater, weggehen und mir ein anderes Leben aufbauen, was soll ich denn mit so einer Mutter? Ich brauche nur Geld und da ich bald volljährig bin, kann mein Vater es mir auch direkt geben, dann ist alles in Ordnung. Na gut, davon mal abgesehen, wo gehen wir jetzt hin?«
Ihre Frage verwirrt mich und einen Augenblick lang denke ich, ich hätte fragen sollen, was sie vorhat, bevor ich sie einlade, bei mir zu übernachten. Vielleicht will sie noch ausgehen. Vielleicht ist sie zu mir gekommen, weil sie gedacht hat, dass wir erst noch ein bisschen um die Häuser ziehen, irgendwo was trinken, uns vielleicht sogar volllaufen lassen und ein paar ältere Jungs kennenlernen, die uns im Wagen nach Lecce mitnehmen. Meine allgemeine anfängliche Sorge verwandelt sich in eine lächerliche übersteigerte Angst, wie bei einem ersten Date, und plötzlich fühle ich mich unwohl und unterlegen, also genau in meiner Rolle.
Ich habe Angst, dass Martina von diesem Abend etwas erwartet, was auch sehr verständnisvolle Eltern heftig missbilligen würden.
»Was denn so, also … willst du was trinken? Willst du … wir können rausgehen, ich weiß nicht, vielleicht gibt es ja da unten irgendwo eine Bar.«
»Nein, eher so, es gibt doch die Bar auf dem Campingplatz, oder?«
Ein Hoffnungsschimmer blitzt auf im Sturm meiner Ängste.
»Ja, es gibt eine Bar, man kann auch draußen sitzen. Wir können was trinken, was du willst, da ist auch Tischfußball …«
»Magst du Montenegro?«
Mein fragender Blick kommt schneller als der, den ich mir eigentlich zurechtgelegt hatte und mit dem ich etwas abnicken wollte, was ich überhaupt nicht kenne.
»Das ist ein Kräuterlikör, wir trinken einen Kräuterlikör.«
»Ja, okay«, antworte ich und finde meine Selbstsicherheit wieder.
»Und dann spielen wir eine Runde Tischfußball«, fügt sie lachend hinzu, um mich hochzunehmen.
Die Bar ist halb leer. Da sitzt nur ein Grüppchen Dreizehnjähriger herum, Jungs und Mädels, alle tiefbraun und mit gegelten Haaren, die einen Campari-Mix trinken. Es ist wahrscheinlich mein zweiter Besuch in der Bar, seit ich auf dem Campingplatz bin. In den vergangenen Jahren war ich ständig hier, aber da kannte ich auch eine Menge Leute, in meinem Alter und älter. Deshalb bin ich letzten Endes auch beim Animateur gelandet. Denn hier mit den anderen war er gar nicht mal so übel, als würden seine schlimmsten Seiten in Gesellschaft von anderen nicht so sehr hervorstechen.
Wir bestellen zwei Kräuterliköre bei dem Jungen hinter dem Tresen, dem, der mich kennt, obwohl ich mich nicht an ihn erinnere. Also grüße ich ihn und tue so, als ob ich ihn wiedererkenne.
Martina bleibt inzwischen nicht unbemerkt. Ein paar von den Dreizehnjährigen können ihre Blicke gar nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher