Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
ist dieser Moment jeden Tag, wenn ich mich fühle, als säße ich in einer Oper, die lauter und immer lauter wird – bis ich meine eigene Stimme nicht mehr hören kann, nicht mehr denken kann. Es fühlt sich alles so falsch an. Ich liebe dich, aber …«
Luke legte mir einen Finger auf die Lippen. »Ich liebe dich,
aber …
« Er stand auf, verschränkte die Arme vor der Brust und ging ein paar Schritte von mir weg. Vor Anspannung traten ihm tiefe waagerechte Falten auf die Stirn. »
…
aber
ich will dir das Herz brechen?«
»Ich liebe dich. Doch darum geht es nicht.«
Er begann so schneidend zu sprechen, dass jeder Satz herabfuhr wie ein Messer. »Entschuldigen Sie, Mrs. Marx, aber waren Sievor einer Viertelstunde nicht noch ganz wild auf Sex mit mir? Wann haben Sie sich das überlegt? Haben Sie in den letzten Wochen minutiös geplant, wie Sie diese Sache beenden wollen, oder ist Ihnen die Idee einfach spontan gekommen?«
Ich verachtete mich selbst. Was war ich nur für eine rückgratlose Heuchlerin, dass ich dieses Gespräch mit ihm führte, nachdem ich mit ihm ins Bett gegangen war. Ich sah ihn an, kläglich, hoffnungslos. Eigentlich konnte ich nur noch ins Badezimmer rennen und meinen Kopf gegen die Steinfliesen schlagen.
»Ich dachte, unsere Beziehung würde auf Liebe und Respekt basieren«, fuhr er fort. »Ich schätze, der Idiot hier bin ich.«
Er sah wütend aus, doch er klang traurig, und das machte es noch schlimmer. Ich war hierhergekommen, um all das loszuwerden, was mich seit Wochen umtrieb, um aus all meinen Zweifeln, und seien sie noch so gering, eine unüberwindbare Mauer zwischen uns zu errichten. Und jetzt kamen all meine Worte so falsch heraus. »Wir … wir haben nie gesagt, dass es für immer ist, dass du nicht auch mit anderen zusammen sein könntest –«
»Ich will nicht ›mit anderen zusammen sein‹. Verstehst du das nicht? Ich fühle mich wirklich wie ein Vollidiot. Ich fühle mich benutzt und getäuscht.«
»Wie soll ich dich getäuscht haben?« Meine Stimme wurde lauter. »Ich habe dich nicht mehr getäuscht als du mich!«
»Ach nein, wer sitzt denn hier auf dem hohen Ross«, entgegnete Luke. »Die Arztfrau.« Er sah mich an. »Und ich glaube dir auch nicht, dass deine Ehe eine einzige Katastrophe ist. Du wirst ihn nie verlassen, niemals, nicht solange ich lebe jedenfalls.«
Ich hatte ein ergreifendes Melodrama erwartet und war in einer billigen Nachmittagstalkshow gelandet. Wir beide haben ja nicht mal über eine gemeinsame Zukunft geredet, dachte ich, griff nach meiner Handtasche, nahm mir im Flur noch die Zeit, die Ohrringe abzulegen, schnappte mir meine Jacke und knallte die Wohnungstür hinter mir zu. Schweratmend rannte ich die Treppe hinunter, denn wer nimmt in solchen Situationen schon den Aufzug.
Als ich im zweiten Stock war, rannte Luke, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinter mir her und rief: »Molly, komm zurück. Ich will nicht streiten. Du hast einfach den Blick für das Maß verloren. Das ist doch sinnlos.«
Als ich aus der Haustür schoss, stieg gerade jemand aus einem Taxi, was ich als Zeichen nahm. Ich murmelte eine Entschuldigung, als ich die Frau fast umrannte, und stürzte mich einfach in den Wagen. Als Luke aus dem Haus lief, brauste das Taxi schon davon. Im Rückspiegel sah ich ihn dastehen, immer noch ohne Hemd, und klein und kleiner werden.
»Wohin soll’s denn gehen, Lady?«, sagte der Fahrer.
Gute Frage, dachte ich.
34
Dr. Stafford und Dr. Sex
»Also?«
Wann und wo hat eigentlich die Zunft der Eheberater beschlossen, dass genau dieses Wort es sein sollte, mit dem sie ihren Klienten tiefschürfende Selbstaussagen entlocken würden? Was wollte Dr. Felicia Stafford von mir hören? Dass Barry und ich hier waren, um auf einer Skala von eins bis zehn zu bestimmen, ob unser Ehestreit schon völlig maßlos war oder lediglich erbärmlicher Durchschnitt?
Nie war ich zynischer gewesen. Ich war keineswegs als Skeptikerin in die Ehe gegangen, doch mein eigenes Verhalten sowie zweiundsiebzig fragwürdige Buchungen auf der Kreditkartenabrechnung von Dr. Barry Sex hatten mich zu einer gemacht. Wenn sogar ich, Molly Divine Marx, alle Moral vergessen konnte und überzeugt war, dass mein Ehemann sich nur in seiner Untreue treu war und mich im Grunde ständig betrog, klammerten sichdann nicht möglicherweise auch die meisten anderen Ehefrauen in demselben stinkenden, sinkenden Rettungsboot fest?
Hör auf, Molly, sagte ich mir.
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