Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
– unter der Dusche, vor dem Einschlafen, in der U-Bahn – hatte ich mir eingetrichtert, dass Luke und ich nach dem heutigen Tag Geschichte sein würden. Aber ich wollte persönlich Schluss machen, ihn ein letztes Mal sehen und im Lucystil unserer Beziehung ein Ende machen. Was immer da zwischen uns gewesen war, hatte wenigstens das verdient, sagte ich mir. »So viel Zeit habe ich heute nicht.«
»Dann machen wir was anderes aus«, schlug Luke vor, offenbar verwirrt, weil ich seine Lyrik so abrupt beendet hatte. »Wie wär’s mit Donnerstag?«
Für den heutigen Tag hatte ich trainiert wie für einen Marathonlauf untreuer Ehefrauen. Diesen Termin zu verschieben kam überhaupt nicht in Frage. Ich nahm den Hörer vom Ohr und starrte ihn an, als könnte er mir eine Antwort geben. »Molly?«, hörte ich Luke sagen. »Bist du noch dran?«
Was ist denn gegen einen kurzen Besuch in seiner Wohnung einzuwenden?,
fragte der Telefonhörer.
Geh hin. Du schaust dir noch ein letztes Mal alles an, hast eine Erinnerung fürs Leben, und danach ist es vorbei. Monogamie auf ewig.
»Okay«, sagte ich. »Ich bin um eins bei dir.«
Als ich ankam, stand Luke schon mit seinem vertrauten Dabist-du-ja-Lächeln in der Tür. Zärtlich schloss er mich in die Arme, und in mir wallten so automatisch Gefühle auf, dass ich nicht widerstehen konnte. Was nicht heißen soll, dass ich es überhaupt versucht hätte. Ich schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihn an mich.
Verdammt, Luke,
dachte ich.
Ich werde alles an dir vermissen. Jede einzelne Faser.
Während wir uns küssten, nahm ich im hintersten noch funktionierenden Winkel meines Hirns wahr, dass ich nun also wieder auf genau dem Weg war, der uns immer nur an einen Ort führte. Meine Hände glitten Lukes Rücken hinab und in den Bund seiner Jeans, wo warme Haut mich einlud, noch näher zu kommen. Keine Unterwäsche. Kein Mangel an Selbstbewusstsein. Er nahm mich einfach bei der Hand und führte mich ins Schlafzimmer.
»Möchtest du dein Geschenk vorher oder nachher haben?«, fragte Luke und zündete den Stummel einer Kerze an, die ich ihm Anfang Herbst geschenkt hatte. Ein Hauch von Ingwer erfüllte den Raum, als die Flamme aufflackerte und tanzende Schatten an die Wände warf.
»Danach«, sagte ich. »Danach.«
»Heißt das, du willst mich genauso sehr wie ich dich will?«, fragte er, als er mir zuerst den Pullover und dann das Spitzenunterhemd über den Kopf zog.
Wie kann man auf diese Frage je eine Antwort wissen? Ich sagte nur: »Darf ich?« und knöpfte sein Hemd auf, als wäre er selbst das versprochene Geschenk. Denn wer glaubt, ein Liebespaar müsse so schnell wie möglich alle Kleider abwerfen, versäumt doch das Beste. Langsam fuhr ich mit den Fingern über Lukes nackte Brust und folgte der Spur dunkler, sich kräuselnder Haare, bis ich seinen Gürtel erreichte, den ich mit einem einzigen, geübten Griff öffnete.
Hör auf, Molly, sofort!,
rief ich mir zu.
Noch ist es nicht zu spät.
Doch meine Lust ignorierte meinen Verstand, wir machten immer weiter. Ich war eine Fotojournalistin, verließ meinen Körper, zog Kreise, fotografierte alles. Wer ist diese verheiratete Frau dort – nicht alt, aber doch alt genug, um es besser zu wissen –, die sich so leichtsinnig in Laken wälzt, die ihr nicht gehören, die mit den Händen über den muskulösen Rücken eines Mannes streicht, die mit ihrer Zunge seinen Mund erkundet? Wer ist dieser Mann, der genau weiß, wie er sie lieben muss, und der so aussieht, als täte er es?
»Molly, wo bist du?« Luke sah mir in die Augen, die ich nicht geschlossen hatte. »Du bist ja ganz außer dir.«
Ich antwortete mit verschiedenen heftigen, rhythmischen Bewegungen. Und bald darauf war die Fotojournalistin fort, ich blieb allein zurück und gab mich Luke mit der Dringlichkeit einer Frau hin, deren Mann in den Krieg ziehen würde. Ich konzentrierte mich auf jeden Stoß und jedes Seufzen, jeden lustvollen Schrei und jedes leise, befriedigte Seufzen. Erinnerungen, die ein Leben lang reichen mussten.
Und dann war es vorbei. Wir lagen nebeneinander da, wortlos. Ich schloss die Augen und versuchte an … nichts zu denken.
Luke stand auf und verschwand. Am liebsten hätte ich mir die Bettdecke über den Kopf gezogen und mich versteckt vor dem, was unweigerlich kommen musste. Doch als Luke wieder ins Schlafzimmer trat, saß ich halb angezogen da – falls ein grünes Spitzenhöschen als Bekleidung zählt.
»Das ist der letzte Syrah.«
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