Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
unbeschwerte Kindheit zu erhalten.
»Und?«, sagte Dr. Stafford.
»Und« bedeutete anscheinend so viel wie »Warum«, denn ich sah mich zwei Paar hochgezogener Augenbrauen gegenüber.
»Barry ist im Grunde ein guter Mensch«, begann ich. »Er liebt Annabel – unsere Tochter. Sie ist dreieinhalb. Er ist klug und witzig, und wir haben eine gemeinsame Geschichte.« Und außerdem ist er ein großartiger Versorger, wie Grandma Phyllis gesagt hätte, etwas, das ich als selbstverständlich hinnahm – es zu erwähnen, hätte ich als geschmacklos empfunden. Dann war da noch Barrys gutes Aussehen, das ich schon gar nicht mehr bemerkte, das aber sicher auch zu seinen Pluspunkten zählte. »Er bringt mich zum Lachen.« Manchmal. »Ach, das habe ich ja schon erwähnt.«
Dass ich nicht die beste aller Ehefrauen war, verschwieg ich lieber. Ob Barry es nun wusste oder nicht: Ich hatte selbst ziemlichen Mist gebaut.
»Molly«, sagte Dr. Stafford. »Das klingt, als würden Sie einen Freund beschreiben.«
»Eigentlich, Dr. Stafford«, begann ich und sah die Kette an, die sie um den Hals trug, denn das fiel mir leichter, als ihr in die Augen zu sehen, »ist Barry genau das nicht. Ich glaube, er mag mich nicht mal besonders, jedenfalls versteht er mich nicht, und daher …« Mir war, als hinge von diesen Worten mein Leben ab. »… und daher …« – wie sollte ich es sagen? – »… vertraue ichihm nicht. Ich glaube, dass ich das nie konnte und auch nie getan habe. Im Grunde genommen fühle ich mich von ihm nicht beschützt.« Was nichts mit dem ansehnlichen Einkommen zu tun hatte, das er nach Hause brachte, wie mir klarwurde. »Ich fühle mich nicht aufgehoben in Barrys Nähe, und das ist das größte Problem von allen.«
Im Zimmer war es so still wie in den Straßen von Manhattan nach heftigem Schneefall. Dr. Stafford drehte ihren Stuhl nach links. War sie erfreut, dass es nicht mal zehn Minuten gedauert hatte, bis es ans Eingemachte ging?
»Barry?«, fragte sie. Während wir beide auf eine Antwort warteten, wanderte mein Blick zu dem abstrakten Ölgemälde, das über Barrys Kopf hing. Waren diese gegeneinanderdrängenden Farben des Regenbogens ein Abbild meiner Gefühle?
»Ich verstehe, was Molly meint«, sagte er schließlich. »Mei ne Arbeit nimmt mich oft sehr in Anspruch, meine Hobbys auch.«
Es fiel mir schwer, nicht die Augen zu verdrehen. Hobbys?
Ich bin interessiert an kleinen, versteckten Hotels und erkunde gern edle Bars. Von Dir erwarte ich: Zeit an den Abenden, an denen ich »arbeite«, und für lange Spaziergänge an weißen Sandstränden in der Nähe sonniger Konferenzstätten.
»Und Barry, wollen Sie mit Molly verheiratet bleiben?«, fragte Dr. Stafford.
Barry beugte sich vor. »Unbedingt«, sagte er, sah aber nur Dr. Stafford an. »Meine Frau ist schön, sinnlich, talentiert, eine wunderbare Mutter, doch all das ist nicht so wichtig wie die Tatsache«, ich saß etwa einen halben Meter von ihm entfernt, und jetzt beugte er sich vor und griff nach meiner Hand, »dass ich sie liebe.« Meine Hand zuckte leicht bei seiner Berührung.
»Und nur sie?«, fragte die Therapeutin.
Dr. Stafford war klüger, als ich dachte.
»Nur sie.«
Kenne ich dich? ,
fragte ich mich.
»Molly sagt, sie kann Ihnen nicht vertrauen«, stellte die Therapeutin in einem völlig sachlichen Tonfall fest.
»Ja, das habe ich gehört.«
»Auf die Gründe dafür kommen wir sicher später noch zu sprechen. Doch jetzt interessiert mich erst einmal eines, Barry: Können Sie ihr vertrauen?«
War das die Stelle, an der ich in Tränen ausbrechen, mich schnäuzen und dazwischenrufen sollte: »Halt – ich sage dir, warum du mir nicht vertrauen kannst! Weil auch ich aus der Reihe tanze! Auf der Skala für schlechte Ehefrauen erreiche ich die Elf.«
»Ja, ich glaube, das kann ich«, sagte Barry. »Aber, Dr. Stafford, wenn sie das Bedürfnis gehabt hätte, eine … andere Beziehung einzugehen … dann könnte ich Mollys Beweggründe verstehen.«
Er sah immer noch nur unsere Therapeutin an. Ich hätte auch in Sri Lanka sein können. Sein hübsches Arztlächeln hatte er ausgetauscht gegen die Feierlichkeit, mit der sich ein Senator für die Anwesenheit einer Hure in seinem Hotelzimmer entschuldigt.
»Denn, Dr. Stafford«, fuhr Barry fort, die Hände verschränkt, fast als würde er beten, »ich war nicht immer treu.«
Ach, wirklich?
»Aber das wird sich ändern«, fügte er ohne sichtbare Scham
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