Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
doch genau die beiläufige, großzügige Geste, über die ich mal eine witzige Glosse an die Rubrik »Leben in der Weltstadt« in der ›New York Times‹ schicken sollte. »Danke. Ich muss noch ein paar Blocks weiter, wo ich meine Tochter zu einem Schwimmkurs anmelden will.«
Annabel weigerte sich, auch nur den großen Zeh in ein Schwimmbecken zu stecken, und Barry und ich wollten dieses Problem jetzt angehen. Trotzdem, warum musste ich bloß immer sofort drauflosquasseln?
»Genau das will ich auch«, sagte die Frau. Ihre Stimme hatte etwas leicht Nasales, nicht ganz Chanel-Standard.
»Im Ernst?«
»Wirklich«, sagte die Frau. »Mein Sohn ist ein richtiger Wasserfrosch.«
»Wie alt ist er?«
»Dreieinhalb.«
»Meine Tochter auch. Sie heißt Annabel. Und ich bin übrigens Molly.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Molly.« Mit einem langen Lächelnsah sie mich von der Seite an und sprach meinen Durchschnittsnamen aus, als hätte sie ihn noch nie zuvor gehört. Ich erwartete, dass sie ihren Namen und vielleicht auch den ihres Sohnes nennen würde, doch sie tat es nicht. Der Regen und unser Größenunterschied – sie war ziemlich groß – erschwerten es mir, sie genauer zu betrachten. Ihre Zähne waren allerdings selbst unter diesen Umständen nicht zu übersehen. Waren die alle überkront, oder benutzte sie nur etwas zu übereifrig Zahnaufheller?
Schweigend liefen wir noch ein paar Blocks weiter, bis wir schließlich an unser Ziel kamen. Madame Chanel schloss ihren Regenschirm, und wir traten in die Eingangshalle, die bereits von Müttern, Kindermädchen, Sportwagen und Kleinkindern überquoll.
»Mrs. Marx?«, rief eine Frau, als sich die Fahrstuhltüren öffneten und noch mehr Frauen und Kinder dazukamen.
Ich drehte mich um. »Narcissa?«
»Ja, Ma’am«, sagte sie und trottete auf mich zu. »Sind Sie wegen dem Schwimmkurs hier? Ich hab grad Ella angemeldet. Beeilen Sie sich lieber – ist schon fast voll.«
»Mist«, sagte ich, dachte jedoch ein viel unflätigeres Wort. Hatten etwa schon wieder alle anderen Mütter die Disziplin aufgebracht, sich Stunden vorher anzustellen? Warum hatte ich meine Zeit mit Shoppen vertrödelt oder nicht wenigstens Delfina gebeten, diese Pflichtübung zu erledigen? Weil ich stets den geradezu tollkühnen Ehrgeiz der New Yorker Mütter unterschätzte; weil ich unbedingt noch Schuhe kaufen wollte; weil Delfina in der Wohnung auf Annabel aufpasste – und auch auf Ella übrigens, denn nur deshalb konnte Narcissa hier sein. »Oh, danke, Narcissa. Dann beeile ich mich mal.« Dass Ella an dem Schwimmkurs auch teilnahm, würde es zumindest erleichtern, Annabel die Aussicht darauf schmackhaft zu machen, jeden Mittwoch um drei in pinkelwarmem Wasser »toter Mann« zu üben.
Der nächste Fahrstuhl war schon zu voll. Und der nächste auch. In den vierten quetschte ich mich einfach mit hinein. Als die Türensich im fünften Stock öffneten, sah ich, dass meine Freundin mit dem Regenschirm auch anstand und in der Schlange nur noch eine einzige Frau vor sich hatte. Sie musste die Treppe genommen haben.
Unbedingt merken,
dachte ich.
Nächstes Mal Arsch in Bewegung setzen.
»Ich hab Ihnen einen Platz freigehalten«, rief sie mir zu, was die anderen Mütter und Kindermädchen mit finsteren Blicken quittierten.
»Hey, kommt nicht in Frage«, rief eine von ihnen. »Ich stehe hier schon länger. Immer fair bleiben.«
Die Frau hatte ja recht. »Trotzdem danke«, erwiderte ich und stellte mich hinten an. Ich suchte gerade in meiner Tasche nach dem Lokalteil der ›New York Times‹, da begann mein Handy ›When the Saints Go Marching In‹ zu dudeln. Als ich es endlich fand – in meiner Manteltasche, unter einem zerknüllten Kassenzettel –, hatte ich den Anruf verpasst. Luke. Sein dritter heute, nicht, dass ich einen davon angenommen hätte.
Ich steckte das Handy wieder weg und schlug die Zeitung auf. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Luke spukte in meinem Hinterkopf herum, flüsternd, spottend, schmeichelnd.
Wieder klingelte das Handy. Wieder ignorierte ich seinen Anruf.
»Wenn Sie Ihre Anrufe nicht annehmen wollen, dann stellen Sie Ihr Handy wenigstens aus«, meckerte die Frau vor mir und zog damit die Aufmerksamkeit aller in dem kleinen Raum auf uns.
»Es tut mir leid, wenn Sie sich gestört fühlen«, erwiderte ich, »aber ich muss mein Handy anlassen.« Delfina könnte anrufen, oder Barry.
»Es stört nicht nur, es ist absolut unhöflich«, fuhr die Meckertante
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