Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
fort.
Das Handy klingelte wieder. Es wurde totenstill im Raum, und der starre Blick der Frau befahl mir geradezu, endlich ranzugehen.
Ich saß in der Falle und war eingeschüchtert. »Hallo«, sagte ich. »Ich kann jetzt nicht reden.« Lukes Stimme übte immer noch denselbenZauber aus. »Nein, ich kann wirklich nicht …« Dafür redete er umso mehr, und sehr eindringlich. »Nein, finde ich nicht – das ist keine gute Idee.« Verdammt, er war wirklich hartnäckig.
Irgendeine Macht zog mich zu ihm, sanft, unsichtbar wie der Wind. »Okay, okay. Okay, wir treffen uns … wir werden reden. Nein, nicht heute. Warum nicht? Weil …« Ich sah aus dem Fenster. Der Regen hatte plötzlich aufgehört, die Sonne war herausgekommen. »Weil ich heute … Radfahren will.« Als ich auflegte, begann meine Entschlossenheit zu bröckeln.
Ich spürte, dass aller Augen und Ohren in diesem Raum auf mich und mein Telefon gerichtet waren. Herrgott, wie stellte man dieses Handy nur auf Vibrationsalarm um? Verzweifelt drückte ich auf den Tasten herum. Doch da dudelte es schon wieder. Mit gesenktem Kopf flüsterte ich: »Natürlich habe ich Gefühle für dich.« Als wäre das je unser Problem gewesen.
»Molly, ich liebe dich«, sagte Luke zu mir und zu allen im Raum Versammelten. Offenbar hatte ich die Mithörfunktion eingeschaltet.
»Ich gehe Radfahren«, erwiderte ich. »Wir reden ein andermal. Ich lege jetzt auf.« Und damit klappte ich den Deckel meines Handys zu und versenkte es in meiner Manteltasche. Den Blicken der anderen wich ich aus.
In dem Augenblick winkte mich glücklicherweise die Frau, die die Anmeldungen entgegennahm, nach vorne. Ihre Finger vollführten einen Steptanz auf der Computertastatur. Es war noch ein Platz frei für Annabel, der letzte! Einfach weiteratmen, sagte ich mir. Es ist immer noch ein guter Tag.
Als ich das Formular ausfüllte, rauschte die Frau im Chanel-Regenmantel, die etwas abseits gestanden hatte, ohne einen Abschiedsgruß an mir vorbei. Erst so überschwänglich, jetzt so abweisend, dachte ich noch. Da bekam auch sie einen Anruf.
Ich hätte schwören können, dass ich sie »Barry« sagen hörte. Sie hatte die Stimme nicht sonderlich gesenkt und wollte anscheinend – falls ich nicht schon völlig paranoid war – verstandenwerden. »Oh, interessant, aber das kann ich toppen. Du hast mir gar nicht gesagt, dass deine Frau attraktiv ist. Egal, hier das Neueste. Du hattest recht. Sie hat eine Affäre.«
Ich sah auf. Doch die Frau war schon weg.
40
Steine aller Art
»Erklär’s mir noch mal –
warum
brauchen wir eine Feier zur Steinsetzung?«, fragt Barry, als er mit Kitty eines Sonntags den zweiten Becher dreifach gefilterten Kaffee trinkt. Mein Ehemann sieht sich in dem neuen, doppelt breiten und mit Glastüren ausgestatteten Edelstahlkühlschrank reflektiert und denkt dasselbe wie ich: Was stimmte nicht mit der Küche – Shaker-Schränke, Arbeitsflächen aus Granit und ein Kühlschrank, der Lebensmittel vorschriftsmäßig kühlte –, die seine Mutter vor neun Jahren angeschafft hatte? Aber wenn man genug Geld hat und einen Inneneinrichter auf der Kurzwahltaste des Handys, kann man sich eben auch damit die Zeit vertreiben, Warmhalteöfen und Profi-Herde mit sechs Kochplatten auszusuchen, und trotzdem fünfmal die Woche auswärts essen.
Obwohl sie mehr Zeit mit Yoga verbringt als im Gebet, ist meine Schwiegermutter eine wahre Wikipedia der jüdischen Riten. »Das macht man so«, sagt sie. »Die Feier muss stattfinden, ehe sich der Todestag zum ersten Mal jährt.«
»Sonst was?«, fragt Barry.
»Es ist eben Tradition.« Kitty verwirft den flüchtigen Gedanken, sich Zurückhaltung aufzuerlegen. »Außerdem, angenommen, du möchtest dich mit Stephanie verloben. Da wärst du doch froh, wenn du die Steinsetzung schon hinter dir hättest, nicht?«
Barry verschluckt sich fast an dem dicken Zwiebelring, der seinen Mohnbagel krönt.
»Das ist natürlich rein hypothetisch«, sagt Kitty. »Auch wenn die Frau genau das ist, was du brauchst.«
Welche Qualitäten genau meint meine Schwiegermutter? Die große Klappe? Wohl eher den großen Ehrgeiz. Für Kitty sind Frauen die Antriebskraft hinter dem Erfolg eines Mannes. Und auch wenn sie in jeder Schwiegertochter meiner Ansicht nach vor allem die biologische Voraussetzung zur Produktion von Enkelkindern sieht, sagt ihre pragmatische Hälfte ihr doch, dass sich ihr Sohn, wenn er denn schon heiraten muss, an jemanden halten sollte,
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