Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
stillschweigend darauf geeinigt, dieses burgunderrote Kleid bei Barneys keines Blickes zu würdigen? Egal. Die Spaghettiträger ließen meine Schultern schön zur Geltung kommen, und der Rock würde mir um die Knie wirbeln, wenn Barry und ich einen Swing aufs Parkett legten. Neulich Abend hatten wir, als Annabel im Bett lag, tatsächlich eine CD eingelegt und in der Küche geübt.
Ich wollte nicht mehr an Lukes beharrliche Anrufe denken – mindestens einer pro Woche –, die ich ignorierte. Jedes Mal, wenn ich Lukes Gesicht vor mir aufblitzen sah, versuchte ich, meinen Lösch-Modus zu aktivieren. Ab und zu gelang es, und ein
Luke, wer?
leuchtete auf. Ich war wild entschlossen, Raum zu schaffen für Barry, und nur für Barry allein.
Beseligt schwebte ich hinaus auf die Straße. Und das tat auch mein Regenschirm, der sich in einem Anfall von Unabhängigkeitsstreben umstülpte und davonflog. Doch von so einem Missgeschick ließ ich mir die gute Laune genauso wenig verderben wie von all den vorbeifahrenden Taxifahrern, für die ich anscheinend unsichtbar war. Also ging ich zur Bushaltestelle, öffnete mein Portemonnaie – und stellte fest, dass mir ein Vierteldollar zum passenden Kleingeld fehlte. Mit meinen allerbesten Mädchenmanieren bat ich einen älteren Herrn um 25 Cent, stieg in den Bus, hielt mich gut fest, während das Gefährt die Madison Avenue entlangrumpelte, und wartete Ecke 79. Straße geduldig auf den nächsten Bus, mit dem ich durch den Central Park fuhr. An derAmsterdam Avenue stieg ich aus, trat direkt in eine Pfütze, und meine Wildlederschuhe waren völlig durchnässt.
»Schrecklich so was«, sagte eine Frau, die den Bus mit einem so eleganten Sprung verließ, wie ich ihn zuletzt von einem Mitglied des New York City Ballet gesehen hatte. Ich betrachtete sie, der Regenmantel, der dazupassende Hut, die kniehohen Stiefel – etwas zu viel Chanel auf einmal, und vielleicht noch nicht mal echt, aber wer wusste das schon. Die Frau hatte etwa mein Alter und war der Typ, der mit einem wasserabweisenden Finish versehen zu sein schien.
»Kein Drama«, sagte ich, während schmutziger Schneematsch meine Strümpfe durchweichte. Von etwas so Unbedeutendem würde ich mir doch den Nachmittag nicht ruinieren lassen, nicht nach diesem Vormittag.
Am Vormittag hatten Barry und ich unsere siebte Fünfzig-Minuten-Stunde Psycho-Hexerei bei Dr. Stafford absolviert. Mit Hilfe ihrer umsichtigen Fragen und gestärkt durch halb erinnerte Träume und meinen ungeminderten Optimismus wurde ich immer zuversichtlicher, dass diese Eheberatung uns zu größerer Nähe oder sogar – Intimität führen würde. Und als ich vor ein paar Tagen Barrys Hemden weghängte, war ich auch schon auf einen greifbaren Beweis in Form einer Schachtel von Kittys Lieblingsjuwelier gestoßen. Vorsichtig hatte ich die rote Seidenschleife gelöst und wurde belohnt vom Blitzen eines facettierten hellrosa Herzanhängers, der von pflaumenblauen Steinen umgeben war. Vielleicht nicht ganz das, was ich mir selbst ausgesucht hätte – mehr Kitty als Molly –, doch als ich die Kette vorsichtig aus der Samtschachtel nahm und mir anhielt, lag der Anhänger perfekt in der kleinen Mulde am Hals. Beim Blick in den Spiegel spürte ich den treuen Schlag eines treulosen Herzens.
Mein Ehemann wollte Wiedergutmachung leisten und uns einen neuen Start in eine glücklichere Zukunft ermöglichen, sagte ich mir. Dieses Geschenk war sicher nicht für Kitty gedacht, und nicht mal Barry Marx war dreist genug, ein zartes – okay, ein eherprotziges, aber trotzdem bemerkenswertes – Geschenk für eine andere Frau in unserem Schlafzimmer keine zwei Meter von unserem Ehebett entfernt aufzubewahren. Die Dinge, die er in Dr. Staffords Praxis erzählte, mussten also wahr sein. Ich schlurfte weiter durch den Regen, meine Gedanken wanderten zum nächsten Wochenende und der Party, und mein Herz begann plötzlich wild zu klopfen, was es wegen Barry schon seit … hm, eigentlich noch nie getan hatte.
Ich hatte schon einen halben Block hinter mir, als ich sah, dass Madame Chanel Schritt hielt und etwa zwei Meter rechts von mir ging. »Wollen Sie mit drunter?«, fragte sie und deutete auf ihren Regenschirm, den sie wohl aus irgendeinem Golfclub hatte mitgehen lassen. »Hier ist Platz genug.«
Meine kalten Füße rutschten in meinen ruinierten Schuhen hin und her, und mein Haar war nass vom Regen. »Ja!«, rief ich, lief auf meine Retterin zu und dachte, das war
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