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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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der ihr selbst möglichst ähnlich ist.
    »So weit ist es noch lange nicht«, sagt Barry, als er nicht mehr husten muss.
    »Ach?« Kitty füllt noch einmal Kaffee in ihre schwarz-weiß-gestreiften Porzellanbecher – ihrer ist innen knallrosa, seiner pistaziengrün – und prophezeit eine Verlobung noch vor dem Sommer. Und die Hochzeit vielleicht irgendwo anders. Sie wollte immer schon mal auf die Seychellen. Dubai, Bhutan und Bali stehen ebenfalls auf Kittys Wunschliste, aber Stephanie hat sicher auch eigene Vorstellungen. Kitty ist klar: Sonderlich subtil ist es nicht, wenn eine vierunddreißigjährige Frau sie zuerst zum Lunch zu Saks einlädt und dann einen Spaziergang zum winzigen Juwelierladen ihres Onkels in der 47.   Straße vorschlägt, wo sie beiläufig auf einen Art-déco-Diamantsolitär hinweist, der beinahe so groß ist wie der ganze Laden. Asscher-Schliff, die typisch quadratische Form. Eine andere Mutter wäre entsetzt gewesen, doch Kitty bewundert Stephanies Selbstsicherheit. Sie ist überzeugt davon, dass eine Frau Ehrgeiz genauso benötigt wie exzellente Schlafzimmer-Expertise. »Überlass die Feier zur Steinsetzung mir«, sagt sie zu Barry. »Bestell du den Stein.«
    Barry tut es – weshalb Rabbi Strauss Sherman morgen wieder einmal meiner Familie dröhnend zu Diensten sein wird; weshalb ich die Zimt-Rosinen-Babkas praktisch schon riechen kann; und weshalb auf dem Friedhof Serenity Haven ein mit einem Tuch verhängter Marmorgedenkstein wartet. Er ist graurosé, den eingefärbtenArbeitsflächen in Kittys kürzlich neu eingerichteter Küche nicht unähnlich.
    Ich spähe unter das Tuch und hoffe, dass Barry bei der Inschrift wenigstens einen Anflug von Originalität bewiesen hat.
Molly Marx, geliebte Tochter, Ehefrau und Mutter
. Da hätte ihm wirklich etwas Besseres einfallen können. Schlicht und würdevoll, okay, aber wo bleibt das Mysteriöse an mir? Mein Elan? Mein shwarzer Humor? Gefallen hätte mir
Molly, Biker chick
. Oder etwas richtig Geschmackloses.
Meine Großeltern haben den Holocaust überlebt, und für mich war’s das schon?
Immerhin war ich erst fünfunddreißig, als ich starb.
    Meine Familie ist gestern aus Chicago angekommen, zwei Tage vor dem Gottesdienst am Sonntagmittag. Annabel wird heute Vormittag mit Oma und Opa ins Kindermuseum gehen, doch Lucy hat sich abgesetzt. Ich folge ihr, als sie ein Café auf dem Broadway verlässt und Richtung Norden geht. Gegen die Dezemberkälte scheint sie immun zu sein, während sie forschen Schrittes an Gemüseläden, Barnes & Noble und an einer Bank vorbeigeht, deren Hauptvorteil ihre nützlichen Filialen in Auckland und Kuala Lumpur zu sein scheinen. Nicht ein einziges Mal sieht sie zu den Glastürmen hinauf, die sich um sie herum glitzernd in den grauen Himmel erheben. Stur starrt sie geradeaus, wie sonst nur beim Joggen.
    Auch die düster-majestätische Columbia University beeindruckt Lucy nicht. Erst an der 120.   Straße bleibt sie kurz stehen und bewundert die gotische Pracht der Riverside Church, gegen die selbst Emanuel-El, die flotteste Synagoge Nordamerikas, trist wie ein Drugstore wirkt. Lange hält Lucy sich allerdings nicht auf. Sie geht hinüber zu Grants Grabmal.
    Ja, so etwas nenne ich eine Ruhestätte. Seit der für den Park zuständige Stadtbezirk auf die vielen Appelle reagiert und das Grabmal renoviert hat – etwa zur selben Zeit, als der Times Square eine Kehrtwende von Pornoläden und Peepshows hin zu Touristen und Eisdielen machte   –, bin ich oft mit dem Fahrrad zu meinenFreunden Ulysses und Julia gefahren. »Wer ist in Grants Grabmal begraben?«, lautete Grandpa Louies Lieblingsrätsel, das er uns Schwestern stets mit den Augenbrauen wackelnd wie Groucho Marx stellte. Schon im Kindergartenalter konnten Lucy und ich wie aus der Pistole geschossen rufen: »Keiner!« Denn der Präsident und seine Ehefrau wurden in zwei identischen kunstvollen Sarkophagen
über
der Erde beigesetzt.
    Lucy geht nicht in das Grabmal hinein, obwohl sie einen Blick auf die über dem Eingang eingravierte Inschrift wirft: »Ruhe in Frieden«; ein zynischer Schlachtruf für einen der kriegsbesessensten Generäle in der Geschichte Amerikas, fand ich immer. Lucy stopft die Hände tief in die Taschen ihres violetten Mantels und geht auf die Bäume zu, die ein Stück ausgewiesenes Naturschutzgebiet umgeben.
Der Natur überlassen,
steht auf einem Schild.
    Wenn die Menschen in Manhattan
Park
denken, meinen sie immer den Central Park mit seinen

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