Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
glaubt, er will sie küssen. Stattdessen stößt er sie vom Rad ins Wasser und lässt sie einfach liegen.«
»Niemals«, erwidert Brie. »Aber was hältst du hiervon? Barry und Molly fahren zusammen Rad und geraten in Streit. Er schubst Molly – ob versehentlich oder absichtlich, weiß ich selbst noch nicht genau – und sie fällt in den Fluss. Er gerät in Panik, zieht sie raus und macht, wie es sich für einen guten Arzt gehört, Mund-zu-Mund-Beatmung. Weil er erkennt, dass sie schwer verletzt ist und höchstwahrscheinlich sterben wird, und weil er zweihundertprozentig sicher ist, dass niemand ihn gesehen hat, verlässt er den Ort des Verbrechens.«
»Und sein Motiv?«
»Sie wusste, dass er sie zum x-ten Mal betrog, wollte sich scheiden lassen und ihm sein ganzes Geld abknöpfen.«
»Interessant, Detective Lawson«, sagt Hicks. »Vielleicht haben sie aber auch bloß gestritten, und dann ist er weggefahren, ohne sich noch mal umzudrehen, und hat gar nicht bemerkt, dass Molly die Kontrolle über ihr Rad verloren hat. Gefährdung durch Rücksichtslosigkeit.«
»Oh, du magst Barry also. Nun, vielleicht war Luke ja wirklich im Kino, so wie er gesagt hat, ist aber vor dem Ende des Films gegangen, um Molly abzupassen und sie zu töten, weil er ein Psychopath wie aus dem Lehrbuch ist und Molly auch Barry nicht gönnt, wenn er sie selbst nicht haben kann. Oder –«
»Nein«, sagt Hicks. »Wie wär’s damit?« Er fährt mit der Hand unter Bries Hemd, erkundet rasch, was sie darunter trägt – nichts – und beendet damit die Diskussion. Erst als Brie zwei Stunden später geht, schaut er sich noch einmal den Zeitungsausschnitt an.
Hicks telefoniert viermal, mit Luke, Barry, Kitty und Stephanie, und kündigt ihnen allen für den nächsten Tag seinen Besuch an.
44
Spielverderber
Ich fuhr auf der Central Park West Richtung Norden und bog an der 86. Straße links ab, vorbei an dem Apartmentgebäude, in dem die Schauspielerin Marian Davies sich von dem Zeitungstycoon William Randolph Hearst aushalten ließ. Hut ab vor Marian. Das war eine Frau, die wusste, wie man mit Liebhabern verfuhr.
Noch einmal rechtsherum, und ich war im Riverside Park, wo ich eine amerikanische Flagge flattern sah. Verdammt, es war windiger, als ich gedacht hatte. Ich sauste am Hippo Playground vorbei. Wenn das Wetter sich weiter besserte, könnte ich Annabel morgen mit einem Ausflug auf diesen Spielplatz überraschen, dachte ich noch. Und dann fuhr ich auch schon in den feuchten Tunnel hinein, der unter der Parkanlage hindurch zum Hudson führte.
»Tempo drosseln«,
befahl ein Schild.
»Nehmen Sie Rücksicht.«
Genau. Führe mich nicht in Versuchung, Luke. Es reicht. Nimm Rücksicht darauf, dass ich ein neues Kapitel aufschlagen will.
Am anderen Ende des Tunnels hielt ich kurz an. In der Entfernung konnte ich Jersey City ausmachen, eine Stadt, die ich nur aus dem Wetterbericht kannte. Im Norden sah ich die in feine graue Dunstschleier gehüllte George Washington Bridge. Und etwas näher bei mir, auf einem Hügel, erhob sich die Riverside Church beim Grabmal von Ulysses S. Grant.
Ich stieg wieder aufs Rad und trat in die Pedale. Ein paar Meter rechts von mir war ein Zaun, der besser zu einem Gefängnis gepassthätte. Dahinter rasten Autos vorbei, deren Fahrer stur geradeaus starrten. Vorwärts. Vorwärts. Schneller. Überholen. Wie laut es war, unglaublich. Aber es war mir nie schwergefallen, den Verkehrslärm einfach auszublenden.
» Freedom’s just another word for nothing left to lose
«, sang ich laut und unmelodisch in meinem heisersten Janis-Joplin-Ton.
» Yeah, feeling good was good enough for me. Me and my Bobby McGee
.«
Ich schoss an einer Reihe zerzauster Kiefern vorbei, die die leeren Tennisplätze bewachten, und dann auf den Cherry Walk, einen unebenen Fahrradweg, der links von einem steinigen, leicht abschüssigen Ufersaum begrenzt wurde. Und an diese Steine schlug, keinen halben Meter unter mir, das trübe Wasser des Hudson.
» I’d trade all of my tomorrows for one single yesterday
.« In Songtexten ist das Leben stets destilliert zu trügerisch wundersamer Klarheit. Aber die Frauen, die ich kannte, hätten weder ihren Kummer in Southern Comfort ertränkt noch all ihre zukünftigen Tage für einen einzigen vergangenen hingegeben. Sie machten vor dem Schlafengehen fünfzig Sit-ups, schluckten Antidepressiva, überlegten, ob sie ein Kind bekommen oder sich einen erstklassigen Scheidungsanwalt nehmen sollten, und
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