Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
roten Briefmarke ist ein Herz mit demSchriftzug »Love« abgebildet. Vorsichtig öffnet er den Umschlag. Nanu, warum schickt ihm denn jemand einen Zeitungsausschnitt mit einem Anzug von Ascot Chang, dem Shanghaier Herrenausstatter, in dessen Edelshop er seine Nase mal hineingesteckt hat – aber auch nur ein einziges Mal. Dort würde ihn schon ein einfaches Poloshirt hundert Dollar kosten.
»Brie, Liebling, du willst mir doch hoffentlich nichts schenken«, sagt er, als sie in die Küche kommt, bekleidet mit einem seiner Macy-Hemden und – so hofft er – sonst nichts. Dass sie fünfmal so viel verdient wie er, ist ein heißes Eisen in ihrer Beziehung. Ihr mache es nichts aus, sagt sie, warum sollte es ihm also etwas ausmachen? Eine Frage, die Hicks mindestens zweimal pro Tag wälzt.
»Ich dachte, du hast erst in vier Monaten Geburtstag«, erwidert sie und steckt zuerst sich selbst und dann ihm eine Weintraube in den Mund, ehe sie ihn umarmt. »Oder soll das ein Hinweis sein?«
»Ist
das
einer?« Erst als er mit dem Zeitungsausschnitt vor Bries Gesicht herumwedelt, bemerkt er die Rückseite. Unter der Zeile »In dieser Ausgabe« ist ein Foto zu sehen, auf dem, neben einigen anderen, Luke Delaney und Molly Marx abgebildet sind. Mit einem leuchtend gelben Kreis hat der Absender ihre Hände markiert, die sich möglicherweise berühren, oder auch nicht. Schwer zu sagen. Und auf einem kleinen danebenklebenden Zettel steht:
Mörder?
Die verdächtige Person L. Delaney. Offiziell ist er kein Verdächtiger, obwohl er Molly am Tag ihres Todes mehrmals angerufen hat. Von ihm war auch der letzte Anruf, den sie bekommen hat. Dieser Luke verbirgt irgendetwas, das weiß Hicks. Aber was? Er ist völlig fertig gewesen bei der Befragung, hat sich aber nicht in Widersprüche verstrickt. Erst vor zwei Wochen hat er wieder angerufen und sich erkundigt, wie die Ermittlungen vorangehen.
Gar nicht, wäre die angemessene Antwort gewesen.
»Weißt du, aus welcher Zeitschrift das sein könnte?«, fragt Hicks.
Brie betrachtet den Ausschnitt genauer. »›Town & Country‹vielleicht.« Nicht ganz, es ist ›Departures‹. Das Foto wurde am Strand von Santo Domingo aufgenommen, nach meinem letzten Foto-Shooting mit Luke. »Aber was beweist das Bild? Molly und Luke haben zusammengearbeitet und wahrscheinlich auch miteinander geschlafen. Berufsrisiko. So was passiert doch dauernd.« Brie muss es wissen, denn sie hat dasselbe mit demselben Typen gemacht – was sie Hicks allerdings nie zu erzählen gedenkt.
»Wichtiger ist, wer das geschickt hat«, sagt er.
Brie sitzt auf dem Aluminiumhocker am Küchentresen mit der Granitplatte, der Hicks’ kleine, makellose Küche von seinem Wohnzimmer mit den schwarzen Lederzweisitzern und dem runden Esstisch aus Edelstahl trennt. Dieses Apartment war so etwas wie das große Los für ihn, denn es ist kaum eine Meile, aber doch einen Riesenschritt von seiner Mutter entfernt. Könnte sie mit diesem Mann zusammenwohnen, fragt Brie sich in letzter Zeit häufiger. Wenn es nur darauf ankommt, wie sehr sie ihn mag, wie sehr sie sexuell harmonieren und wie zwanghaft ordentlich sie beide sind, ist die Antwort ein eindeutiges Ja.
»Wer das geschickt hat?«, sagt Brie. »Ich wette, Barry, der gute alte Barry, ist der Schuldige.«
»Schuld woran?«
»An irgendwas bestimmt.«
»Das wird dich vor Gericht weit bringen.« Er lacht. »Was meinst du, das kommt doch nicht von der schlimmen Lucy, oder?«
»Lucy würde keine Spielchen spielen, sondern anrufen und sagen: ›Meine dämliche Schwester hatte eine Affäre, und der Typ hat sie umgebracht. Kriegen Sie den Kerl‹«, sagt Brie in bester Lucy-Imitation. Das konnte sie immer schon so gut, dass wir uns beide vor Lachen gebogen haben.
»Dann vielleicht Kitty, die versucht, von ihrem lieben Sohn abzulenken?«, fragt Hicks.
»Oder von sich selbst«, schlägt Brie vor, obwohl sie in Kitty im Grunde keine Mörderin sieht. Hicks’ Miene kann sie nicht deuten. »Sollte nur ein Scherz sein«, fügt sie vorsichtshalber hinzu.
»Wie wär’s damit?«, sagt Hicks, zieht Brie an sich und löst die Spange aus ihrem Haar, so dass es ihr offen den Rücken herabfällt. »Molly liebt Delaney, aber Delaney liebt eine andere, und Molly will ihn nicht in Ruhe lassen. Sie führt sich auf wie diese verbitterte, rachsüchtige Teufelin in ›Eine verhängnisvolle Affäre‹. Also schlägt er ihr vor, gemeinsam Rad zu fahren. An einer malerischen Stelle halten sie an, und Molly
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