Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Südafrikaner.«
Verdammt.
»Du klingst genau wie sie«, fügt er in verträumtem Ton hinzu, als wäre er gerade erst erwacht. Was in gewisser Weise ja stimmt. »Bist du aus Chicago?«
»Wir müssen uns mal unterhalten.«
42
Verrückt vor Liebe
Lucy war die Sportliche von uns beiden. Ich stand immer staunend im Staub von Illinois, wenn sie Bälle schoss und warf und parierte wie ein Junge und als Erste in jede Mannschaft gewählt wurde, ja, unweigerlich sogar zu deren Kapitän. Beste Pfadfinderin im Ferienlager? Lucy Divine. Noch heute hängt die Plakette unter dem traurig dreinblickenden Elchkopf im Speisesaal des Ferienlagers, das ich boykottierte, seit ich die Spotthymne der Jungs aus dem Ferienlager nebenan über die Mädchen richtig verstanden hatte. Das Ferienlager aufzugeben war kein allzu großer Verlust. Die Abzeichen und die Bratwürstchen mochte ich zwar, doch beim Mannschaftssport schlug ich mir die Knie fast genauso schlimm auf wie mein Ego. Fahrradfahren dagegen war etwas ganz anderes, ein Ticket in die Freiheit, in der man weniger Mücken totschlagen und weniger Regeln auswendig lernen musste. Seit mein Vater die Stützräder von meinem roten Kinderrad abgeschraubt hatte, flog ich nur so durch die Gegend. »Dussely, kommst du mit Radfahren?«, rief ich im Sommer jeden Morgen.
Beim Fahrradfahren machte ich nie schlapp, doch meine Fahrräder taten es, und so kauften meine Eltern mir alle drei Jahre einen schimmernden Ersatz. Eine Tradition, die ich aufrechterhielt. Mein neuestes Modell war ein gelbes Trekkingrad, gekauft zu Ehren meines fünfunddreißigsten Geburtstags und eines Hermes würdig. Ich war schon sehr gespannt, ob das Fahrrad den Lobeshymnen des Verkäufers auch gerecht wurde. Vom Regen des heutigen Februartages war kaum noch ein feines Nieseln geblieben, Annabel war mit Delfina und Ella unterwegs, und beim Radfahren würde ich mir die vertrackte Situation mit Luke in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Nachdenken konnte ich am besten auf Rädern.
Ich zog eine Baumwollunterhose für anständige Mädchen an – wer im Stringtanga aufs Fahrrad steigt, darf sich über die Folgennicht beklagen, sagte Barry immer – und packte mich mit Jerseytrikot und wattierter Hose warm ein. Als ich gerade meinen Rucksack und meine Handschuhe heraussuchte, klingelte das Telefon.
»Barry?«, fragte ich.
»Ja, dein unwiderstehlicher Ehemann. Warum so überrascht?«
»Weil ich sonst drei Nachrichten hinterlassen muss, ehe du einmal zurückrufst«, erwiderte ich und bedauerte meine Worte sofort. Ich konnte förmlich hören, wie Dr. Stafford uns in ihrer vornehmen Art ermahnte, dass nur wenige Beziehungen von Sarkasmus profitierten – den sie, mit ihrer Vorliebe für Lebensmittelmetaphern, gern mit einerübermäßigen Dosis Cayennepfeffer verglich.
»Was gibt’s zum Abendessen?«, fragte Barry.
Dieser liebenswerte neue Barry, der sich erkundigte, ob wir Fisch oder Huhn, Selbstgekochtes oder Angeliefertes essen würden, konnte unmöglich etwas mit Madame Chanel zu tun haben, sagte ich mir.
»Lachs, in Pergamentpapier gedünstet, dazu Zuckererbsen und diese gebackenen Pommes frites, die ich mit koscherem Salz mache.« Den Tisch hatte ich bereits mit orangen Tulpen und Kerzen geschmückt, und auf dem Rückweg meiner Radtour wollte ich noch bei der Silver Moon Bakery vorbeifahren und irgendetwas Raffiniertes als Dessert besorgen. Vielleicht würde ich ja den Karamellkuchen mit geraspelter Schokolade bekommen, den Barry so gern mochte.
»Hast du Annabel für den Schwimmkurs angemeldet?«, fragte er.
Wow, er wusste noch, was ich heute tun wollte. Er gab sich wirklich Mühe. »Ja. Ich habe den letzten freien Platz erwischt.«
»Platz eins für die Supermom. Und was hast du jetzt vor, Molly?«
Barry ist ja richtig zum Plaudern aufgelegt, dachte ich. Es gefiel mir. »Ich will mein neues Rad ausprobieren.«
»Jetzt?«
»Es ist fast Frühling.«
»Es ist Februar«, sagte er mit einem Anflug von Kritik. »Wohin willst du um diese Uhrzeit denn fahren?«
Der Central Park war mein übliches Gelände, aber wenn ich weiter Richtung Westen fuhr, würde ich bei der Silver Moon Bakery vorbeikommen. Ich beschloss, das Dessert als süße Überraschung zu servieren. »Ich weiß noch nicht.«
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich doch immer«, erwiderte ich. »Bis später.«
Traute Barry mir etwa Waghalsigkeit zu? Mir? Ich zog eine Windjacke mit grellen Reflektorstreifen über, auf der dank Annabel auch noch jede Menge
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