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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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Klischees auszusortieren, pickte sie wie winzige Fusseln einzeln wieder heraus. Mir fiel kaum auf, dass sicham Spätnachmittagshimmel schwere Wolken sammelten, die das Licht so wirkungsvoll trübten, als hätte jemand den Dimmer betätigt. Das Klatschen der Regentropfen auf meinem Fahrradhelm war zu einem Getrommel geworden. Ich hörte Donnergrollen.
    Ich überlegte gerade, ob ich den Leuchtturm auslassen und gleich zu Grants Grabmal fahren sollte, als plötzlich ein zweiter, grellerer Donnerschlag zu hören war.
    Und plötzlich war am Himmel die Hölle los. Weshalb ich das andere Geräusch zunächst gar nicht hörte, das immer lauter wurde. Dann war es unverkennbar, das Knacken der Gangschaltung eines anderen Fahrrads hinter mir. Das näher kam.
    Zu nahe.
    Ich meinte, irgendwen meinen Namen rufen zu hören. War Barry mir gefolgt? Ich schaute über die Schulter zurück. Jemand fuhr sehr dicht auf, und dieser Drängler hatte offenbar einen großzügigen Geschenkgutschein für den Outdoor-Laden bekommen: von Kopf bis Fuß schwarze, wasserabweisende Hightech-Materialien, bis hin zu einer Kapuze, die über den Fahrradhelm gezogen war. Die Sachen waren so locker geschnitten, dass der Er ebenso gut eine Sie sein konnte. Die Körpergestalt konnte ich nicht genau ausmachen, doch ich sah eine Sonnenbrille – groß, dunkel, schwer.
    Äh, ’tschuldigung, hab ich die Paparazzi verpasst oder die Wettervorhersage des Hurrikans, hätte ich am liebsten gerufen. Doch der andere Fahrer rief zuerst.
    Was sagte die Stimme? »Vorsicht«? »Nicht so weit nach links«? Oder rief sie meinen Namen? Die Worte wurden vom Donner geschluckt. Silberne Zickzackblitze erhellten den Himmel, und der Regen prasselte jetzt unbarmherzig herab. Ich fühlte mich wie gefangen im Dauerregen einer Autowaschanlage, doch ich trat weiter in die Pedale und versuchte, den Auftritt des Schlecht-Wetter-Profis hinter mir zu ignorieren und mich auf meinen Weg zu konzentrieren. Doch meine Räder gerieten in dem plötzlichen Wasserschwall ins Schleudern und ich spürte den anderen immernäher kommen. Viel zu nahe, verdammt. Merkte der denn nicht, wie gefährlich das war? Oder hängte er sich an mich, weil er darauf hoffte, ich würde ihn durch den Sturm geleiten? Da hatte Darth Vader sich aber die falsche Pfadfinderin ausgesucht.
    Er wollte mich einfach nicht überholen. Ich überlegte, ob ich es mit der lautstarken Schimpfkanonade versuchen sollte, mit der ich schon mal einen Dieb in die Flucht geschlagen hatte, der mir in einem Anfall von Selbstüberschätzung mein Portemonnaie hatte klauen wollen. In einem Gerichtsgebäude. Als ich meiner Schöffenpflicht nachkam. Aber was, wenn dieser Schwachkopf da hinter mir, sagen wir mal, ein durchgeknallter Fahrradkurier war und mich ausrauben wollte – oder Schlimmeres? New York war schließlich eine Stadt mit höchst einfallsreichen Kriminellen.
    Ich musste hier weg. Am besten fuhr ich so dicht wie möglich an den Zaun heran, der den Fahrradweg vom Autoverkehr trennte, auch wenn die Pfützen dort schon recht tief waren. Wasser spritzte auf und durchnässte meine Hose sowie, zum zweiten Mal an diesem Tag, meine Schuhe. Ich spürte den Schneematsch in den Socken. Ob das hinter mir nun Barry war oder nicht, er hatte jedenfalls recht gehabt. Wer ging denn bitte schön im Februar Radfahren? Hielt ich, eine verantwortungsvolle Mutter mit Radfahrtalenten rein durchschnittlicher Natur, mich etwa für eine Tour-de-France-Kandidatin? Ich war höchstens eine offizielle Vollidiotin.
    Ich drehte mich um. Die andere Person schrie etwas. »…   müssen reden.« Aus der Nähe klang die Stimme schrill, nasal, höher. Barry war’s nicht. Und jetzt bestand kein Zweifel mehr. Er – oder sie – wusste, wer ich war.
    »Molly Marx! Stehenbleiben!«
    »Was soll das?«, rief ich zurück. Es sah so aus, als wollte dieser Fremde mich tatsächlich angreifen. Stinksauer und mit einer Scheißangst schrie ich weit lauter, als ich glaubte schreien zu können: »Zurück! Halten Sie Abstand, verdammt!« Es schnürte mir fast die Kehle ab, und ich begann zu keuchen.
    »Anhalten!«, kreischte der andere Fahrer, schlidderte in eine Pfütze und schoss von rechts auf mich zu wie eine Rakete.
    Ich musste von diesem Irren wegkommen. Ich konnte es.
    »Sehen Sie’s ein, Molly. Barry und Sie sind fertig miteinander! Er hält Sie für eine Witzfigur. Daran ändert sich nichts, wenn Sie mich ignorieren! Er liebt Sie nicht mehr.«
    »Wer sind Sie?«, schrie

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