schwärmte sie und flatterte unschuldig wie ein Schmetterling von dannen.
Ich taumelte nach draußen, auf der Suche nach dem erstbesten Stuhl.
»Ich habe dich schon überall gesucht«, rief Barry und lief auf mich zu. »Komm, Schatz – die Torte.«
»Ich brauche noch einen Moment«, erwiderte ich, doch da rollte ein Kellner schon den Servierwagen mit der hohen dreistöckigen Schokoladentorte heran, die mit Sahne und riesigen Erdbeeren verziert war und gekrönt wurde von brennenden Wunderkerzen. Barry und ich traten an zum letzten Hochzeitsritual, seine Hand lag auf meiner, der neue Goldring hob sich glänzend von seinersonnengebräunten Haut ab, als der zerstörerische Schnitt durch die vielen Tortenschichten fuhr und durch mein Herz. Wir lächelten für die Kamera.
»Ist Mrs. Marx bereit für ihr neues Leben?«, flüsterte Barry und zog mich an sich. Sein Abendjackett hing sorgsam über der Lehne eines weißen Weidenkorbstuhls, der extra für diesen Anlass gemietet worden war. Sein Atem roch nach Pfefferminz, sein Lächeln war selbstbewusst, und seine Zähne wirkten unnatürlich weiß.
Mrs. Marx hat noch eine andere Idee, wohin sie dieses Messer gern stechen würde, dachte ich, als er mich küsste und die Kamera des Fotografen klickte.
8
Reife Persönlichkeiten
Wer meint, während der Schiwe-Woche werde Stillschweigen über das Liebesleben des Witwers bewahrt, der irrt sich.
»Sag mir Bescheid, wenn du so weit bist, denn die Schwester meiner Frau – du erinnerst dich doch noch an Stacey?«
»Stacey, die mit dem Busen?«, fragt Barry.
»Genau. Stacey und ihr Ehemann – das ist
finito.
«
Ich bekomme mindestens sechs Verkupplungsversuche mit, einschließlich eines Angebots von unserem Steuerberater, der Barry gern seine Tochter vorstellen möchte. Sie steht kurz vor ihrem Studienabschluss in Stanford, ist aber eine »reife Persönlichkeit«, wie er versichert.
»Ich dachte, Sie können sicher etwas zum Abendessen gebrauchen«, sagt die geschiedene Mutter einer Kindergartenfreundin von Annabel und händigt ihm eine Riesenportion vegetarische Lasagne aus. »Für Sie und Andrea.«
Ich höre Barry denken »nicht mein Typ«, während er ihre breiten Hüften begutachtet, doch es sind natürlich andere Worte, die ihm über die Lippen kommen: »Danke. Da freuen Annabel und ich uns sehr.« Er reicht die Glaskasserolle an Delfina weiter, die sie in den Gefrierschrank stopft, neben ein Schmorfleischgericht, ein Truthahnchili und einen garstigen Auflauf aus Kidneybohnen und Schmelzkäse, dessen Rezept ich letzten Monat auf der AO L-Homepage gefunden hatte.
»Ich hätte doch den größeren Gefrierschrank kaufen sollen«, sagt er noch zu Delfina, ehe er wieder ins Wohnzimmer zurückgeht.
»Sie hätten ’ne Menge Dinge tun sollen«, murmelt sie vor sich hin.
Viele Reformjuden sitzen symbolisch ein, zwei Tage Schiwe, doch meine Familie geht über die ganze Distanz: sieben Tage lang, unterbrochen nur am Schabbat. Barry geht sowohl am Freitagabend als auch am Samstagmorgen in die Synagoge. Ich beobachte meinen Ehemann die ganze Woche lang. Hat er etwa extra Recherchen über die Trauerriten angestellt, um hier das Sinnbild aller Leidtragenden abgeben zu können? Obwohl er sich sorgfältig kleidet – in schwarze Rollkragenpullover und graue Flanellhosen –, rasiert er sich nicht, was ihm gerade den richtigen Touch Elend ins Gesicht zaubert. Und mindestens ein Dutzend Mal kommen ihm die Tränen, wenn jemand meinen Namen erwähnt.
Es dauert zwei Tage, bis ich bemerke, dass Dr. Barry Marx seinen minutiös geplanten Tagesablauf verändert hat. Nach der Arbeit und vor dem Abendessen geht er eigentlich immer joggen, und danach duscht er etwa fünf bis fünfzehn Minuten lang, je nachdem, ob er sich einen herunterholt oder nicht. Nach dem Abendessen schaltet er sein Notebook ein und liest seine E-Mails (er hat drei Mailadressen:
[email protected] und
[email protected], plus einer, von der er meint, ich kenne sie nicht:
[email protected]). Dann überfliegt er die Berichte im ›Wall Street Journal‹ zu den neuesten Entwicklungen im Medizinsektor,ehe er schließlich eine Zeitlang auf Pornoseiten herumsurft, wobei laut dröhnend der Fernseher läuft – stets ein heikler Streitpunkt in unserer Ehe. Von dieser Routine weicht er jetzt wegen der Schiwe ab, doch der Rest des Abends verläuft wie immer. Um zehn nach elf macht Barry zweihundert Sit-ups und fünfzig Liegestütze, dann drückt er Annabel einen Kuss