Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
auf die Stirn und danach verbringt er acht Minuten mit Zahnpflegemanövern aller Art. Es folgen Lettermans Eröffnungsmonolog in seiner ›Late Night Show‹, genau ein Kapitel eines Buches – Krimis, Sachbücher zur Geschichte oder Sportlerbiografien –, und um Mitternacht wird das Licht gelöscht.
Doch er hat ein interessantes Detail hinzugefügt. Barry hat sich angewöhnt, seinen Ehering zu tragen, den er nun jeden Abend in die Cartier-Schachtel legt, in der er gekauft wurde und die in der zweiten Schublade von oben in Barrys Kommode aufbewahrt wird. Die Schachtel ist in makellosem Zustand, da der Ring bislang kaum herausgeholt wurde. Das hat mir nie etwas ausgemacht – mein Vater trägt seinen Ehering auch nicht; oft tragen gerade die Ehemänner einen, die ihre Frauen tatsächlich betrügen. Wie auch immer, der Ring – in den unser Hochzeitsdatum und die Worte »Für immer« eingraviert sind – steckt neuerdings stets an Barrys Finger. Heute Abend betrachtet er den glänzenden Goldreif, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen, und dreht und wendet ihn in der Hand. Da klingelt das Telefon.
»Grässlich«, sagt er, nachdem er abgehoben hat. »Ich bin froh, wenn diese Tortur endlich vorbei ist.«
Die leicht nasale Stimme am anderen Ende der Leitung gehört derselben Person, die in der letzten Woche jeden Abend um elf herum angerufen hat.
»Gott sei Dank ist es der letzte Tag«, sagt Barry.
Ich mustere Barrys Gesicht. Seine Augen sehen verquollen aus, und ich entdecke neue, tiefere Falten.
»Wie ich mich fühle? Wie ein Stück Hundescheiße.«
Nun, das macht mich nicht gerade unglücklich.
»Ich glaube, sie kommt ganz gut zurecht, aber das ist schwer einzuschätzen – sie sagt praktisch kein Wort.«
Stimmt nicht. Annabel ist eine richtige Quasselstrippe, solange Barry nicht dabei ist, und vor allem, wenn sie allein ist.
»Alle bemühen sich um sie, Delfina, meine Schwiegermutter und diese furchtbare Lucy mit der großen Klappe. Und Mollys Freundinnen.«
Die, einzeln oder in kleinen Gruppen, jeden Abend gekommen sind und Schiwe gesessen haben.
»Ja, besonders diese Lippenstift-Lesben.«
Es waren wirklich alle meine Freundinnen da.
»Morgen? Unmöglich. Ich muss operieren.«
Die arme Nase.
»Nein, meine Gefühle haben sich nicht geändert.«
Liegt ihm etwas an dieser Frau? Ich weiß es nicht. Seit unserer Hochzeit wusste ich nicht mal mehr, ob ihm noch etwas an mir lag.
»Ich lege jetzt auf.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt plötzlich noch nasaler.
»Nein, das ist gegen jeden Anstand«, sagt er.
Er verdreht die Augen.
»Gute Nacht.«
Er sieht auf die Uhr.
»Das meine ich ernst. Ich bin erledigt. Ein andermal, Stephanie.«
Stephanie.
Barry legt sich ins Bett. Er meidet meine Seite, als würde er, wenn er dort hinüberrollt, ebenfalls in einem Grab landen, und schläft innerhalb von zwei Minuten ein.
Es stimmt, Barry muss am nächsten Morgen operieren, aber erst um zehn. Um Viertel vor acht taucht ein Detective namens Hicks auf, ein Afroamerikaner, nicht älter als Anfang dreißig, mit einem goldenen Ohrstecker im Ohr, einem sehr dezenten. Ich kann meinenBlick gar nicht abwenden von diesem Mann, der viel besser aussieht, als er selbst vermutet.
»Mr. Marx«, beginnt er und mustert die Einrichtung unseres Wohnzimmers.
»Dr. Marx«, korrigiert Barry ihn automatisch.
Ich Idiot,
denkt er,
warum habe ich das gesagt?
»Entschuldigen Sie«, sagt Hicks.
» Dr.
Marx. Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihre Frau verloren haben und dass ich Sie in so einer Zeit stören muss, Sir. Aber wie ich Ihnen schon am Telefon gesagt habe, es ist reine Routine. Ich habe nur ein paar Fragen.«
»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung«, sagt Barry.
Das werden wir ja sehen,
höre ich Hicks denken. »Es geht um den Abend, an dem Mrs. Marx mit dem Fahrrad losfuhr – um den Abend, ehe sie tot aufgefunden wurde. Wo waren Sie da?«
Barry antwortet sofort. »Ich war laufen. Im Central Park. Ich trainiere für den Marathon.«
»Ich auch«, erwidert Hicks in einem viel freundlicheren Ton, als ich erwartet hätte.
»Nun, dann wissen Sie ja, wie viel Zeit man da ins Training stecken muss«, sagt Barry. »Zumindest in meinem Alter.« Er versucht, seinen Charme spielen zu lassen, und lacht. Er weiß sehr genau, dass er so viel älter als Hicks gar nicht ist. Doch der Detective tut ihm nicht den Gefallen, von seinen eigenen Trainingsmethoden zu erzählen.
»Hat Sie an diesem Abend
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