Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Hose heraus, die genauso aussehen wiemein Trainingsanzug. Kitty hat uns die Sachen zum letzten Muttertag geschenkt. Ich habe meinen nur ein einziges Mal getragen, weil ich darin immer das Gefühl hatte, ich müsste sofort in einen Fitnessclub eintreten. Annabel hatte ihre Sachen seit dem letzten Sommer nicht mehr an. Ihre dünnen Arme und Beine ragen an allen Enden mehrere Zentimeter heraus.
»Perfekt«, sagt Delfina. »Und jetzt komm. Es gibt Waffeln!«
Als Delfina schon aus dem Zimmer ist, wirft Annabel noch einen letzten, langen Blick auf Elizabeth und sagt: »Und du schläfst jetzt schön.«
9
Missionary’s Downfall und andere alkoholische Getränke
Dort, wo ich jetzt bin, frage ich mich natürlich auch, warum ich auf unserer Hochzeit nichts zu Barry gesagt habe, nachdem diese Schnepfe ihren Hintern aus dem Gästebad meiner Eltern geschoben hatte. Aber was hätte ich tun sollen? Etwa »Stopp, alles zurückspulen« rufen inmitten von 250 Hochzeitsgästen, die alle nach der Torte gierten? Im Leben heißt es immer: Timing ist alles. Im Tod kommt’s darauf nicht mehr so sehr an.
Das Los der Flitterwochen-Lotterie fiel auf Hawaii, und so flogen Barry und ich am Morgen nach der Hochzeit gen Westen. Am ersten Tag hätte ich ihn am liebsten mit einem hawaiischen Orchideen-Lei erwürgt, doch meine Wut begann abzuebben, als ich in einer heißen Badewanne lag und unzählige Ananas-Cocktails schlürfte – nicht, dass ich einen Missionary’s Downfall je von einem Tropical Itch unterscheiden konnte. Wenn wir uns nicht gerade einen Schwips antranken, hatten wir Sex, im Bett, in der Hängematte und im feinen weißen Sand, auf diese Weise, auf jeneWeise, und ja, einmal auch
so
. Bis zum Ende des Urlaubs hatte ich mir eingeredet, dass das Gästebad-Debakel sicher nur Einbildung gewesen war. Und so kehrte ich nach New York zurück, mit einem Grasrock im Koffer, drei Kilo mehr auf den Hüften und einer Harnwegsinfektion. Noch ganz verklärt von den Flitterwochen, schwor ich mir, eine Ehefrau zu werden, die alles vergeben und vergessen konnte und dafür nicht nur den ersten Preis in der Kategorie Heile Welt erhalten würde, sondern auch die immerwährende Liebe ihres Ehemannes.
Drei Wochen nach der Hochzeit traf ich mich mit Brie zum Mittagessen, die zu der Zeit noch nicht Jura studierte, sondern immer noch im Mittelpunkt von Foto-Shootings in fernen Gefilden stand – sie war gerade aus Kenia zurückgekommen –, auch wenn sie im Alter von fast achtundzwanzig natürlich nicht mehr für die Top-Magazine gebucht wurde. Ihr letzter Job war für eine in Johannesburg erscheinende Frauenzeitschrift aus der zweiten Riege gewesen.
Sie fragte mich nach dem Eheleben, und ich erzählte ihr, dass ich mich jeden Morgen extra aus dem Bett quälte, um Barry einen Abschiedskuss zu geben, ehe er ins Krankenhaus ging. »Zweimal die Woche kaufe ich frische Blumen, und ich lege jeden Abend Jazz-CDs auf, die mir der Typ bei Tower Records empfohlen hat, der uns beiden so gut gefällt – du weißt schon, der mit den Dreadlocks.«
»Ach ja.«
Doch ich erzählte Brie nicht mal die Hälfte, und damit meine ich nicht, dass ich auch Musik von Lyle Lovett und Michael Bublé spielte. Jeden Tag machte ich mir Notizen über witzige Begebenheiten und lohnende Gesprächsthemen, meist geklaut aus der Welt der Weblogs, die ich zusammen mit drei Gängen zum Abendessen servierte, so dass ich amüsante, schlagfertige Gesprächsbeiträge formulieren konnte – simulieren, müsste ich wohl sagen. Ich bestellte Stoffservietten, in die ich »Barry« und »Molly« einsticken ließ, und brachte Barrys schmutzige Hemden in die Reinigung. Woher wusste ich eigentlich, dass sie ihm auf Bügeln hängend lieberwaren als zusammengefaltet und in Dreier-Schachteln verpackt, als wär’s ein wöchentliches Geburtstagsgeschenk?
Brie sah mich an. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Haben Sie vielleicht meine Freundin Molly gesehen?«
»Was willst du damit sagen?«
»Du übertreibst es ein bisschen.« Brie beugte sich vor und fixierte mich mit einem Blick aus Augen, die zwar rauchig grau wie Grafit waren, aber längst nicht so weich. Die Braut-Schonzeit, die mich bislang vor Kritik bewahrt hatte, war anscheinend vorüber. Zum ersten Mal seit meiner Hochzeit redete jemand Tacheles mit mir – das hatte selbst Lucy sich verkniffen. »Du machst dich geradezu lächerlich«, fügte Brie hinzu, für den Fall, dass ich die Botschaft noch nicht verstanden
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