Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
zusätzliche Baumwolldecke, die allerdings dünn war wie ein Laken. Ich tat mein Bestes, um nicht mit den Zähnen zu klappern, als Barry mit einer riesigen Vase roter Pfingstrosen und einem großen weißen Teddybär ins Zimmer kam.
Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen und ein Anzeichen von Bedauern zu entdecken. Doch Barry tat, als wäre es völlig normal, dass er die Geburt seiner fünfeinhalb Pfund schweren Tochter verpasst hatte und seine Frau nun auf einer Wöchnerinnenstation gestrandet wiederfand. Immerhin versuchte er, mich mit einem Kompliment gnädig zu stimmen.
»Ich habe sie schon gesehen«, sagte er. »Sie ist das hübscheste Baby von allen.«
Ich hatte natürlich keine Vergleichsmöglichkeiten, erwiderte aber trotzdem: »Da hast du sicher recht.«
»Ich bin so stolz auf dich.«
Ich blickte ihn finster an. Er starrte zurück. Ich blickte noch etwas finsterer.
»Und es tut mir leid, sehr leid.«
Die Worte klangen aufrichtig, auch wenn nicht klar wurde, wofür er sich entschuldigte. Barry war zu stolz, um ins Detail zu gehen, und ich war zu erschöpft, um danach zu fragen. Was auch immer gewesen war, jetzt waren wir Eltern, und zwar gemeinsam. Stillschweigend verständigten wir uns auf einen Waffenstillstand zu Ehren der Geburt unserer Tochter, die Gott sei Dank völlig gesund war und uns in niedlichem rosa Mützchen und Strampelanzug gebracht wurde. Schweigend wiegte ich sie in den Armen, während Barry unbeholfen auf der Bettkante saß.
»Möchtest du sie auch mal halten?«, fragte ich nach längerem Schweigen.
Er wirkte verschreckt.
»Versuch es doch mal«, sagte ich, als wollte ich ihn zu einer Schüssel Haferschleim überreden. Und da nahm Barry seine Tochter auf den Arm und begann ›Born in the USA‹ zu singen.
»Vorsichtig«, sagte ich noch, ehe ich die Augen schloss, »deine Tränen tropfen auf ihren Strampelanzug.«
Ich hatte gar nicht schlafen wollen. Als ich wieder erwachte, war es Abend, und nicht weniger als elf Besucher vom Leibesumfang meiner Mitpatientin bevölkerten unser Krankenzimmer und plauderten fröhlich in einer guttural klingenden Sprache aufeinander ein. Barry war nirgends zu sehen.
»Entschuldigen Sie, aber meine Schwiegertochter braucht Ruhe«, hörte ich Kitty sagen. »Soweit ich weiß, sind gar nicht mehr als zwei Besucher auf einmal erlaubt.« Sie hatte einen so eisigen Tonfall angeschlagen, dass sie problemlos auch Microsoft hätte leiten können, und vertrieb damit auf Anhieb die meisten der gutgelaunten Anwesenden. Meine Schwiegermutter – die in ihrem maßgeschneiderten grauen Jackett, dem schwarzen Rollkragenpullover und der schicken schwarzen Hose makellos aussah und so wenig einer Großmutter ähnelte wie ich der Gewinnerin einesMTV Music Video Award – verzog das Gesicht, als sie einen orangefarbenen Luftballon zurückstieß, der in das Marx-Revier eingedrungen war. »Maseltow, meine Liebe«, sagte sie. »Wie fühlst du dich?«
»Als wäre ich in Stöckelschuhen, die mir drei Nummern zu klein sind, einen Marathon gelaufen«, erwiderte ich.
»Sie sieht genauso aus wie Barry als Baby«, sagte Kitty, womit sie wohl ausdrücken wollte, dass sie meine Tochter bezaubernd fand. Hätte ich ihr für dieses Kompliment danken sollen? Ich war erst seit einigen Stunden Mutter und schon verwirrt, also schwieg ich.
Kitty blickte auf ihre Ringe. Honigblondes, kürzlich frisch gefärbtes Haar rahmte ihr entschlossenes Gesicht. »Ich möchte dich um einen kleinen Gefallen bitten.« Sie holte tief Luft und hob den Blick, um mich anzusehen. Um ihren Mund zeigte sich ein Zug, der einem Lächeln nahe kam. »Ich möchte gern, dass du die Kleine nach meiner Mutter nennst.«
Ich nickte. »Verstehe«, sagte ich. »Ich soll mein kleines Mädchen also Gertrude nennen?«
»Es schmerzt mich, dass niemand nach ihr benannt ist.« Und für den Fall, dass ich die Botschaft nicht verstanden haben sollte, zog Kitty ein Taschentuch mit Monogramm heraus und tupfte sich die Augen. Ich musterte sie aufmerksam. Keine Tränen.
Ich dachte an Granny Gert, die 1,52 Meter groß gewesen war und fast hundert Kilo schwer. Man musste ihr zugutehalten, dass sie eine erstklassige Canastaspielerin war, und den Unmengen an Plastiktüten nach zu urteilen, die man nach ihrem Tod gefunden hatte, war sie in Sachen Recycling ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus gewesen.
»Gertie Marx«, sagte Kitty hoffnungsfroh. »Diese altmodischen Namen werden doch gerade wieder schick.«
Sophia, Sadie, Emma,
Weitere Kostenlose Bücher