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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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– aber etwas fehlt«, sagte er und trat aus dem Schatten.
    Ich trug einen Kaschmirpullover, einen Rock, Strumpfhosen und hohe Stiefel, aber trotzdem war mir kalt. »Ich glaube, ich kann das nicht, Luke.« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    »Ich will dich«, erwiderte er heiser. »Und wenn ich nicht völlig verrückt bin, dann empfindest du das Gleiche.«
    »Das ist egal.« Schmerzhaft, aber egal. »Tut mir leid.« Ich weiß selbst nicht, wieso ich das Bedürfnis hatte, mich zu entschuldigen.
    »Molly, ich würde dich nie drängen«, sagte er und schloss mich mindestens eine Minute lang fest in die Arme. Mein Kopf war völlig leer. Ich wollte beides zugleich, weitermachen und aufhören. Wir gingen wieder in die Küche und sahen einander an, wortlos. Die Musik – war es Diana Krall? – hatte aufgehört, vielleicht konnte ich sie auch bloß nicht mehr hören, weil mein Herz so laut pochte. Er nahm zwei Schalen aus einem offenen Regal und füllte aus einem hohen Suppentopf dampfende Karottensuppe hinein, die nach Ingwer duftete. Krosses Brot und Olivenöl standen bereits auf dem Tisch, und in dem Kühlschrank mit der Glasfront wartete ein Salat aus Soba-Nudeln, der mit Mango gesüßt und mit Chili und Minze gewürzt war. Wir waren zu einem gesitteten Mittagessen zurückgekehrt, um Kontrolle bemüht. Wir aßen, tranken und sprachen nur von der Arbeit.
    Es war die richtige Entscheidung gewesen, den Slip anzubehalten, sagte ich mir selbst und fühlte mich so tugendhaft wie die tugendhafteste Kirchgängerin.
    Kurz vor drei trockneten wir den letzten Teller ab und küssten uns zum Abschied – keusch und liebevoll, und kein Rumpelstilzchen kreischte Zeter und Mordio in meinem Kopf, meine Pheromone hielten sich vornehm zurück. Nachdem ich Luke noch versprochen hatte, ihm meine Ideen für unseren nächsten Auftrag zu mailen, ging ich.
    Das Taxi war noch keine zwei Blocks entfernt, da wusste ich es. Ich holte mein Handy aus der Handtasche. »Luke, ich habe etwas vergessen.«
    »Wirklich?«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte ich. »Das Dessert.«
    Ich musste seine raue Wange an der meinen spüren und mit dem Mund seinen ganzen Körper erkunden, bis ich eine noch verlockendere Stelle gefunden hatte. Ich wollte sein Profil mit meinen Fingern nachzeichnen. Ich brauchte und wollte mehr von dem, was ich auf der Karibikinsel gekostet hatte und neben einem riesigen Fass kalifornischen Chardonnays.
    Ich bat den Taxifahrer, mich wieder dort abzusetzen, wo er mich abgeholt hatte. Als wir ankamen, fragte er, ob er warten solle. »Nein«, sagte ich. »Es könnte eine Weile dauern.« Ich drehte den Stein meines Eherings nach innen, damit er mich nicht so vorwurfsvoll anfunkelte, und gab dem Fahrer einen Zwanzigdollarschein. Er wirkte glücklich – und ich war es.
    Diesmal lief ich, als ich Lukes Wohnung betrat, direkt ins Schlafzimmer, wo ich bis zum frühen Abend blieb und das, was von meiner Unschuld noch übrig war, zurückließ. Aber da hatte ich längst etwas anderes entdeckt.

25
Was das Herz will
    »Ich weiß, dass ich übereilt gehandelt habe«, versichert Lucy zum x-tenmal, »aber ich wollte niemandem wehtun.«
    »Lucy«, sagt meine Mutter resigniert, »übereilt ist wohl kaum der richtige Ausdruck.«
    »Okay, rücksichtslos, unbesonnen, dumm.«
    »Könntest du mir dein Verhalten bitte erklären?«
    Fast erwarte ich, dass meine Mutter diesen Satz mit »junges Fräulein« beendet.
    »Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren war«, sagt Lucy. »Aber du glaubst mir doch, dass ich Annabel nichts tun und ganz sicher nicht dich und Dad aufregen wollte, oder?« Lucy war im Umgang mit meinen Eltern nie so geschickt wie ich. Sie konnte sie nie um den kleinen Finger wickeln, nie; und so stellt Lucy sich jedes Mal, wenn sie versucht, über den Tag zu reden, an dem sie sich Annabel geschnappt hat, selbst eine Falle.
    Claire Divine glaubt vor allem eines: dass Lucy ein psychisches Problem hat. Welches genau, weiß sie nicht. Die beiden sind auf dem Nachhauseweg, sie kommen von Dr.   Daphne Solomon, dem Sicherheitsnetz, in das sich Lucy jetzt viermal die Woche um fünf Uhr nachmittags wirft. Die ersten vier Therapeuten hat meine Schwester abgelehnt. Und bei dieser wäre sie auch nicht geblieben, wenn sie nicht gefürchtet hätte, sonst auf irgendwelche Selbstfindungsseminare à la »Selbstzerstörung ist nur was für Dummköpfe« geschickt zu werden. Wenigstens hat Dr.   Solomon, denkt Lucy, als ihre Mutter in die Auffahrt einbiegt,

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