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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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stand ich vor Apartment 4B.   Sollte ich einfach wieder umkehren? Herrgott, jetzt war ich schon bis hierher gekommen. Ich klopfte.
    »Ich habe dich gar nicht unten klingeln hören«, sagte Luke eine halbe Minute später. »Wartest du schon lange?«
    Ja,
dachte ich,
ich habe fünfunddreißig Jahre gewartet, um mich so zu benehmen.
Vermutlich tun das Frauen in Paris, in London oder auch hier in Manhattan die ganze Zeit. Ich dagegen bin eine Frau, die sich lieber der Entscheidung zwischen Wildlachs und Zuchtlachs stellt als der, ob sie – noch einmal – mit einem Mann schlafen soll, der nicht ihr Ehemann ist. Wenn ich doch nur einem Film der vierziger Jahre entstiegen wäre, in dem der Vamp mit der Wespentaille ein verführerisches Satinkleid mit Schulterpolstern trägt. Zumindest hätte ich dann ein paar geistsprühende Worte auf Lager gehabt. Stattdessen sagte ich nur: »Nein, nicht lange.«
    »Komm doch bitte rein.« Luke hängte meinen Mantel an einen Haken und führte mich in ein großes, quadratisches Zimmer. Die Holzvertäfelung darin endete knapp über meinem Kopf, darüber waren die Wände in Tintenblau gestrichen. Von der Decke hingen vier antike Messingleuchter, die an diesem wolkenverhangenen Tag eine goldglänzende Atmosphäre schufen. Es gab mehrere weiche braune Sofas und eine Récamière in einem sinnlichen Dunkelrot, daneben ein Tisch, auf dem sich Bücher stapelten. Es roch leicht nach grünem Tee. Oder nach frischen Birnen? Mein Blick fiel auf ein kleines Häufchen schwarzer Duftsteine, die neben einem Foto von Lukes Familie lagen. Am anderen Ende des Raumes war ein runder Tisch für zwei Personen gedeckt, mit Leinentischsets und schlichten weißen Tellern.
    Luke hatte wirklich Mittagessen gemeint.
    »Hast du gesehen, dass über dem Hauseingang ›New Yorks Freie Leihbücherei‹ steht?«, fragte Luke eifrig. Aha, er war auch nervös.
    »Nein, ist mir entgangen«, sagte ich.
    Da schlang er die Arme um mich und zog mich an sich. Ich schloss die Augen und erkundete seinen Mund. Und schon war ich wieder weit, weit weg. Alles drehte sich. Ich hörte mein Blut in den Adern rauschen und spürte jedes einzelne Haar.
    Er nahm meine Hand. »Komm, ich zeige dir die Wohnung.« Mit dem Arm um meine Taille führte er mich wieder in den Flur, in dem er Dutzende seiner Schwarz-Weiß-Fotos aufgehängt hatte, keine Arbeitsproben, sondern Fotos von Brücken, von sehr vielen Brücken. Eine Flügeltür führte in ein Arbeitszimmer. An den Wänden waren Bücherregale und eine Tapete mit Rad schlagenden Pfauen. »Die ist noch vom Vormieter«, sagte er. »Ich wollte sie eigentlich wegreißen, aber inzwischen betrachte ich die Viecher als meine Haustiere.«
    »Wenn du die Tapete abreißt, bringe ich dich um«, erklärte ich und zeigte auf einen Pfau. »Der da hat mir eben zugezwinkert.«
    Auf der anderen Seite des Flurs war die Küche. Über einer emaillierten Spüle hielt ein ausgestopfter Hirschkopf Wache, dessen Geweih das einzige nicht Eckige in diesem Raum war. Die Wände der beiden Badezimmer waren holzgetäfelt, und in dem größeren stand eine Wanne auf Klauenfüßen unter einem Fenster, das auf eine Dachterrasse mit schmiedeeisernen Gartenmöbeln und einem kahlen Bäumchen in einem großen Terracottatopf hinausging. Unsere Besichtigungstour ging nur langsam voran, denn Luke wollte, dass ich auf keinen Fall etwas versäumte.
    Am Ende des Flurs gab es noch ein letztes Zimmer. Als Luke den Messingtürknopf in die Hand nahm, holte ich tief Luft. Dort hineinzugehen könnte mir irgendwann sehr leidtun.
    »Ich weiß nicht, was ich mit diesem Zimmer anfangen soll«, sagte er, als er die Türschwelle überschritt. »Hast du eine Idee?«
    Ich trat ein. Die Wände waren weiß und kahl. Ich drehte mich vom Bett weg, einem schwarzen Eisengestell, das mit einfachemLeinen bezogen war, und sah einen barock gearbeiteten Kamin, ebenfalls weiß, in dessen Feuerstelle Birkenholzscheite lagen. Darüber hing die stark vergrößerte Fotografie eines nackten, in Laken gehüllten Paares. Ich hatte das Foto schon mal gesehen, in Lukes Portfolio, und erinnerte mich auch noch an die aufsehenerregende Story über die beiden Models, die während dieses Jobs Kokain geschnupft und Sex miteinander gehabt haben sollten. In der Mitte des Zimmers hingen drei alte Schiffslaternen von der Decke, die sehr viel Ruhe ausstrahlten.
    »Abgesehen von dem Hockeyschläger da in der Ecke würde ich nichts verändern.«
    »Tut mir leid, der Schläger bleibt

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