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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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ein Relikt von einem Wohltätigkeitslauf, das über labbrigen baumwollenen Boxershorts hing. »Gar nichts. Und du?«
    »Wochenend-Schlabberlook. Ich war zum Kaffeetrinken in Little Italy und bin jetzt auf dem Weg nach Chinatown.«
    »Sollen wir uns zum Mittagessen treffen?«, fragte ich und spürte freudige Erregung.
    »Ich würde lieber was anderes mit dir machen.«
    »Soll das heißen, dass die Beharrlichen Brüder endlich abgeflogen sind?« Wenn ich mich beeilte, konnte ich in einer Stunde bei ihm sein. »Ist New York etwa das Bier ausgegangen?«
    »Dieses Glück ist uns nicht beschieden – sie schlafen noch ihren Rausch von gestern Abend aus«, sagte Luke. »Ich dachte eher an eine gewisse noble Adresse an der Central Park West.«
    Oh, wirklich? Ich hatte mich so an Lukes Wohnung gewöhnt. Ich hatte mich sogar sehr an Lukes Wohnung gewöhnt, an den würzigen Geruch seiner Sandelholzseife, an die Art, wie er seine dicken grauen Handtücher zusammenlegte, und an seinen Kräutertee, den ich uns kochte und in Keramikbechern ans Bett brachte. Immer wenn ich mir eine Stunde vom Arbeitstag abzwackte, um zu ihm zu gehen, schlüpfte ich in die Rolle der Geliebten. Das war in Lukes Wohnung ganz leicht, denn dort fehlten alle Hinweise auf einen Ehemann oder ein Kind oder, wenn ich schon dabeibin, auf eine andere Frau. Wir liebten uns einfach, liebten uns und lachten, liebten uns und redeten, und machten gelegentlich Fotos, auch wenn ich mir gleich danach stets die Digitalkamera schnappte und die Nacktfotos wieder löschte. Wenn der Tee langsam kalt wurde, war es für mich an der Zeit, meine Sachen zusammenzusuchen, ihm einen Abschiedskuss zu geben und die Tür zu diesem erotischen Bereich meines lüsternen kleinen Selbst zu schließen, um zu dem zurückzukehren, was ich als mein normales Leben betrachtete.
    Das Zuhause, das ich mit meiner Familie teilte, war ein Heiligtum und strikt tabu. Ich hatte Luke nie hierhergebeten und wollte damit auch jetzt nicht beginnen. Ich sah mich um. Barrys Sachen aus der Reinigung hingen an der Schlafzimmertür, sie mussten noch nach Genus und Spezies sortiert werden. Die potentiell belastenden Kreditkarten- und Handyrechnungen lagen wartend in einem Stapel auf dem Nachttisch. Und von meiner Kommode aus blickte mich, schön in Silber gerahmt, Barry von unserem Hochzeitsfoto an. Seine dunkelbraunen Augen durchbohrten mich.
    »Molly, bist du noch dran?«, fragte Luke.
    »Ja, ich denke nur nach«, erwiderte ich leichthin.
    »Denkst du an das, woran ich auch denke?«
    »Und das wäre?« Es gefiel mir, wenn er die Dinge beim Namen nannte.
    »An uns. In dem Bett, in dem du da liegst, muss es doch furchtbar einsam sein. Wenn ich mich recht entsinne, ist der gute Doktor in Kalifornien und Annabel den ganzen Tag mit ihrer Großmutter unterwegs.«
    Sein Tonfall versetzte sofort mein Gewissen in tiefste Narkose. Ich spürte, wie mein Widerstand dahinschmolz und ein Gefühl sich Bahn brach, das ich nicht benennen konnte. Aufregung? Glück? Eine krankhafte Sucht nach Gefahr? Die Wohnung aufzuräumen würde mich gute zwanzig Minuten kosten, überschlug ich. Außerdem brauchte ich dringend eine Dusche, eine Haarwäscheund, wie ich dunkel ahnte, einen Psychiater. Aber ich sagte: »Komm in einer Dreiviertelstunde.«
    »Ich bringe was zum Lunch mit«, erwiderte er, fast wie ein aufmerksamer Ehemann.
    Ich schnitt eben die gelben Rosen an, die ich in einem Sprint zum Deli an der Ecke besorgt hatte, als der Pförtner sich meldete. »Hier ist ein Alfred Stieglitz für Sie«, meldete er.
    »Schicken Sie ihn bitte herauf.«
    Luke füllte den ganzen Türrahmen. Als ich das Lächeln in seinem Gesicht sah – verlegen, aber mit einem verschmitzten Blitzen   –, waren all meine Befürchtungen verflogen und die Vertrautheit stellte sich sofort ein, besiegelt durch einen kühlen, nach Kaffee schmeckenden Kuss, einen jener Küsse, die einem den Atem nahmen. Luke hatte Lederjacke und Schal kaum abgelegt, da zog ich ihn auch schon um die Ecke ins Wohnzimmer und in einen breiten Sessel – nicht in den allerdings, in dem ich sonst mit Annabel saß und ihr etwas vorlas.
    Es dauerte nicht lange, bis wir auf dem Teppich landeten und zum Wesentlichen kamen.
    Doch heute hatte ich nicht viel davon. Dauernd spähte ich zur Standuhr, halb in der Erwartung, Barry dort stehen zu sehen. Genau siebzehn Minuten später sah ich Luke erleichtert an. Wir konnten uns wieder anziehen.
    »Da hinten ist das Bad«, flüsterte ich und zeigte

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